dunkirk

Dröhnende Spitfire Jagdflugzeuge, Bombenexplosionen und eine ohrenbetäubende Filmmusik. Kurz bevor es nach kompakten 107 Minuten vorbei ist, ein Augenblick der Stille. Die Kamera ruht groß auf einem der Hauptdarsteller. Stille im Saal aber ein anhaltender Radau im Kopf. DUNKIRK hinterläßt ein Ohrensausen. Ein Film als Ereignis.

Kriegsfilme kommen mit gewisser Regelmäßigkeit in die Kinos und sind im besten Fall eine sichere Bank für Auszeichnungen. In den letzten Jahren versuchte man sich ständig mit bluttriefendem Hyperrealismus zu überbieten, um die unbegreiflichen Greuel greifbar zu machen und um einen Grusel- und Eckelfaktor zu erweitern. Bei all der Brutalität standen Helden im Zentrum, die allen Gefahren trotzten und in extremsten Situationen über sich hinauswuchsen. Selbst für Humor war da noch Platz.

Rastlos, chaotisch, unübersichtlich.

Christopher Nolan hat nun einen völlig anderen Weg eingeschlagen. Aus drei Perspektiven erzählt er einen Moment der großangelegten Evakuierungsaktion von Dunkirk im Jahr 1940, bei der von den Alliierten binnen weniger Tage mehr als 300.000 von der Wehrmacht eingekesselte Soldaten gerettet wurden. Nicht chronologisch und ohne Anfang und Ende. Wenig Dialoge und Kampfhandlungen, dafür Filmmusik oder vielmehr eine die Kinosessel zum vibrieren bringende Klangwolke von Hans Zimmer und Sounddesigner Richard King. Sie gibt auch den Takt vor. In hohem Tempo wird erzählt. Im Hintergrund das Ticken einer Stoppuhr. Dem Publikum wird keine Verschnaufpause gegönnt. 
Hoyte von Hoytemas Kamera nimmt das Publikum in den drei Kapiteln mit auf die hohe See, an Land und ins Cockpit. Keine Tricks, die Flugszenen sind echt. Die IMAX Kamera wurde eigens umgebaut, damit sie in die kleinen Jagdflugzeuge aus dem Museum passt. Nicht nur Actionszenen sondern zwei Drittel des Filmes drehte Nolan auf dem Großformat. Die drei Kapitel unterscheiden sich aber nicht nur im Projektionsformat, sondern auch in der Erzählweise: konventionell erzählte Rettungsaktion und orientierungsloser Überlebenskampf.

The Enemy

Wie schon Terrence Malick in „The Thin Red Line“ setzt Nolan eine größere Zahl an Schaupielern ein (darunter Mark Rylance, Fionn Whitehead, Harry Styles, Cillian Murphy, Tom Hardy und Kenneth Branagh), ohne einen hervorzuheben. Auch wenn sie durchwegs überzeugend agieren, durch die stakkatoartige Aneinanderreihung von Sequenzen geraten sie unter die Räder. Die Technik, vor und hinter der Kamera, ist der wahre Star des Films. DUNKIRK ist keine Charakterstudie. Die Hintergrundgeschichten interessieren hier bewusst nicht. Nur der Moment zählt und der pure Überlebenswille. Die Gegenseite wird nur „The Enemy“ genannt. Zu sehen ist sie nicht. Damit geht Nolan einer schablonenhaften Darstellung und einer plumpen Dämonisierung der Wehrmacht elegant aus dem Weg.

Ein Augenzeugenbericht

Die Spannungen zwischen den Alliierten werden ebenso thematisiert, wie die Enttäuschung der Soldaten darüber, dass ihrer Führung keine schnellere und organisiertere Rettung gelingt. 

Durch das Zusammenspiel von Kamera, Ton und Schnitt (Lee Smith) und den Verzicht auf eine lineare Handlungsebene erlangt Nolan ein Höchstmaß an Realismus. Weniger Kriegsfilm als Augenzeugenbericht ist DUNKIRK und vermittelt keinen Überblick der Geschehnisse, sondern Momente und Perspektiven, die sich nach und nach zu einem Bild zusammensetzen. 

Wenn in diesem Jahr kein Film über Hollywood selbst oder ein Musical über Ivanka und Jared ins Kino kommt, hören wir von DUNKIRK nochmals, wenn im Winter die Award Saison beginnt. Zumindest in technischer Hinsicht überzeugt der Film auf allen Fronten.

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Christopher Nolan UK/USA/F/NL 2017 120 Min.

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