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Mit seinen letzten Arbeiten (To The Wonder, The Tree of Life) strapazierte Regisseur Terrence Malick nicht selten die Geduld seines Publikums. Stargespickt aber mit transzendentalen und philosophischen Exkursen, Naturaufnahmen, Voice-over und dem ihm eigenen Bildstil der fließenden Kamerabewegungen in extrem weitwinkeligen Einstellungen (Kamera: Emmanuel Lubezky), verlor sich der US-Amerikaner oft in Belanglosigkeiten. Nun hat er sich den letzten Wochen im Leben des oberösterreichischen Wehrmachtsdissidenten Franz Jägerstätter angenommen. Auf einmal macht das alles Sinn. Natur, Drama, Dynamik: Hier fließt alles in einer Unmittelbarkeit zusammen. Ein verborgenes Leben (OT: A Hidden Life) ist in all seiner Kraft überwältigend.

Der aus St. Radegund stammende Franz Jägerstätter (August Diehl), geboren 1907, bewirtschaftete gemeinsam mit seiner Frau Franziska (Valerie Pachner) einen Bauernhof. 1940 wird er zum Militärdienst einberufen, jedoch als unabkömmlich eingestuft. Im Zuge einer weiteren Einberufung am 1. März 1943 erklärte der streng Gläubige beim Militärkommando in Enns, dass er auf Grund seiner religiösen Einstellung den Wehrdienst mit der Waffe ablehne. Jägerstätter wird in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis im Linzer Ursulinenhof gebracht und Anfang Mai in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel überstellt. Am 6. Juli 1943 wird Franz Jägerstätter wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und am 9. August 1943 hingerichtet.

Jägerstätters Geschichte ist in Österreich wenig bekannt. Erst in den 1970er Jahren wurde er von einem amerikanischen Soziologen wiederentdeckt. Davon ausgehend wurde seine Rehabilitation vor allem von katholischen Organisationen vorangetrieben. Dadurch erlangte Jägerstätter in den USA eine gewisse Bekanntheit. In Österreich selbst und hier speziell in St. Radegund, war es ein mühsamer Weg, den Kriegsdienstverweigerer als Kriegsopfer entsprechend zu würdigen. Das geschah zuletzt 2014 bei der Enthüllung des „Denkmals für die Verfolgten der NS-Militärjusstiz“ auf dem Wiener Ballhausplatz.

Ein Verborgenes Leben beginnt in den Wochen bevor Jägerstätter zum Militärdienst einberufen wurde. In der oberösterreichischen Idylle, an der Deutschen Grenze zwischen Salzburg und Braunau am Inn, arbeitet man hart, um über die Runden zu kommen. Es ist das Jahr 1940 und der Krieg ist für die Bevölkerung in weiter Ferne. Doch irgendwann wird auch das entlegendste Dorf von ihm erfasst, dann, wenn die Männer zum Kriegsdienst abkommandiert werden. Jägerstätter hat den Entschluss bereits seit längerem gefasst, der Einberufung nicht folge zu leisten und den Eid auf Adolf Hitler zu verweigern. Er ist aber nicht frei von Zweifeln.

Lange Gespräche mit dem Pfarrer Ferdinand Fürthauer (Tobias Moretti) und dem Bürgermeister Major Kraus (Karl Markovics) lassen ihn aber nicht davon abbringen. Kraus redet ihm zu: Warum das alles? Niemand wird sich im Nachhinein an ihn erinnern. Dabei sieht es die Dorfgemeinschaft als staatsbürgerliche Pflicht, den Dienst am Vaterland zu leisten. Hier teilt sich die Handlung und die Geschichten von Franziska und Franz werden parallel erzählt.

Nachdem Jägerstätter sich verweigert und ins Gefängnis gesperrt wird, richtet sich die lokale Bevölkerung gegen seine Frau Franziska und die Kinder. Sie gelten von nun an als Verräter. In eindringlichen Szenen wird spürbar, was die Familie durchmachen musste und vor allem worin das Regime seine Stärke bezog. Franziska und ihre drei Töchter sind täglichen Denunzierungen ausgesetzt. Malick stützt sich in seiner Erzählung auf den Briefwechsel zwischen Franz und Franziska.

Franz wird mehrmals verlegt und kommt zuletzt nach Berlin. Dort wird er dem Richter Lueben (Bruno Ganz in einer seiner letzten Rollen) vorgeführt, der ihn vergeblich umzustimmen versucht. Er wird zum Tod verurteilt und es beginnt das Warten auf die Hinrichtung. Am 9. August 1943 wird Franz Jägerstätter schließlich ermordet. Die Szenen vor der Hinrichtung – die man selbst nicht sieht – gehören zu den stärksten der jüngsten Filmgeschichte. In St. Radegund läuten die Kirchenglocken. August Diehls schauspielerische Leistung ist außerordentlich. Genauso wie die von Valerie Pachner. Gemeinsam geben sie ein herzzerreißendes Liebespaar ab.

Es ist gerade Malicks unverkennbarer Stil, der Ein Verborgenes Leben zu einem so eindringlichen Film macht. Er gibt den Schauspielern größtmögliche Freiheiten und arbeitet mit extrem langen Takes. Dabei filmt er seine Schauspieler auch dann, wenn eigentlich gerade Drehpause war. Wenn es dichter wird, sucht die Kamera die Bilder, drängt sich an die Schauspieler. Dann wieder die Weite mit der schönen Landschaft. Malick und sein Kameramann (diesmal: Jörg Widmer) wissen genau, wann sie welche Einstellung einsetzen. Gezielt setzt Malick historisches Bildmaterial ein.

Durch den Film zieht sich das für Malick typische philosophische Voice-Over. Hinzu kommt – zumindest in der englischen Originalfassung – ein Sprachengewirr. Das ursprüngliche Vorhaben, den Film in Deutscher Sprache zu drehen, hat man irgendwann fallen gelassen. Grundsätzlich funktioniert das auch mit einem ausschließlich österreichischen und deutschen Cast überraschend gut. Doch dann wechselt Malick zwischen Deutsch und Englisch. Eine nicht nachvollziehbare Entscheidung. Für den Regisseur steht die Sprache einfach nicht im Vordergrund seiner Erzählung. In der synchronisierten Fassung kommt das aber ohnehin nicht zum Tragen.

Ein verborgenes Leben zeigt eine Form des stillen Widerstands gegen das Naziregime. Mit all seiner Konsequenz. Darüber hinaus ist es eine berührende Liebesgeschichte. Die tiefe Liebe zwischen Franz und Franziska ist ergreifend. Für Jägerstätter ist sein Handeln nicht in einer religiösen Überzeugung begründet, sondern eine Gewissensfrage. Es ist eine Entscheidung, die er nicht mit seinen Liebsten Teilen kann, sondern für sich selbst treffen muss.

Nicht zuletzt werden wir mit der Frage konfrontiert, wie wir selbst gehandelt hätten. Es ist eine zutiefst zermürbende Frage, weil wir keine eindeutige Antwort darauf geben können. Auch wenn wir das gerne können würden. Ein Verborgenes Leben ist ein Kriegsfilm abseits kriegerischer Auseinandersetzungen und erzählt die Geschichte so, das es kaum vorstellbar ist, sie je anders zu erzählen. Die große Überraschung der letzten Viennale ist der Film der Stunde, der Film des vergangenen Jahres und vielleicht des Jahrzehnts.

EIN VERBORGENES LEBEN (OT: A HIDDEN LIFE) | TERENCE MALICK | D/USA 2019 | 174 Min. | 4.5 out of 5 stars


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