Green Book

Erinnert sich noch jemand an die Farrelly Brüder? Neben dem Hit There’s something about Mary (1998) beglückten sie uns mit Dumb and Dumber (1994) und Me, Myself & Irene (2000). Der letzte Film von Peter Farrelly (Movie 43, 2013) hält auf der Bewertungsplattform Rotten Tomatoes aktuell bei 4%. Ja, der Höchstwert der Skala liegt tatsächlich bei 100%. Genau dieser Peter Farrelly gilt jetzt mit seinem neuen Film Green Book mit 5 Nominierungen als Oscar Anwärter (hat allerdings keine Nominierung als Regisseur erhalten). Das ist mindestens so unglaublich wie die wahre Geschichte selbst, um die es hier geht.

Titelgebend ist das „Negro Motorist Green Book“. Ein Reiseführer für afroamerikanische Autofahrer, der bis 1966 herausgegeben wurde und die wenigen Unterkünfte, Restaurants und Tankstellen ausweist, die auch schwarze Kunden akzeptieren. Er sollte das Reisen für Schwarze erleichtern. So auch für den Starpianisten Don Shirley (Mahershala Ali). 

Don Shirley wohnt nicht nur über der Carnegie Hall, sondern füllt sie mit seinen Konzerten auch. Trotzdem plant er eine Tournee durch das gefährliche Gebiet der Südstaaten. Dafür sucht er einen Fahrer, der notfalls auch noch andere Fähigkeiten vorzuweisen hat. Tony Lip (Viggo Mortensen), eigentlich Vallelonga, der Mann fürs Grobe in einem Nachtclub, wird bei Shirley vorstellig und die erste Begegnung verläuft alles andere als vielversprechend. In ein afrikanisches Gewand gekleidet, besteigt Shirley einen Ton. Das ist etwas zu viel für Lip. Dazu soll er nicht nur Fahrer, sondern auch Butler sein. Da lehnt er dankend ab. 

Der Film rückt Tony Lip (in späteren Jahren startete das reale Vorbild eine Karriere als Schauspieler) in den Mittelpunkt. Selbst einer Einwandererfamilie entstammend, hegt er Ressentiments gegenüber allem, was nicht weiß und amerikanisch ist. In seinem Inneren ein aufrichtiger Kerl. Die Esskultur hat er dermaßen verinnerlicht, dass dies zu einigen witzigen Momenten führt.

Kein großer Spoiler: sie kommen doch zusammen und auf dem folgenden Roadtrip wird das zelebriert, was offensichtlich ist: hier prallen zwei Welten aufeinander. Sehr zum Gaudium des Publikums. Die Dialoge sind  sehr komisch. Der gebildete, sich gewählt ausdrückende Musiker und der der Arbeiterklasse entstammende italienisch-amerikanische Türsteher überwinden die anfängliche Abneigung und entwickeln gegenseitigen Respekt für einander. Auch weil sie erkennen, dass sie beide auf ihre Art und Weise am Rande der Gesellschaft zu stehen

Das Duo sieht sich mit widerlichen Auswüchsen von Rassismus konfrontiert und der Film vollzieht eine Gratwanderung, wie schon viele vor ihm, die sich auf humoristische Weise einem todernsten Thema widmen. Es ist Ali und Mortensen zu verdanken, dass dies geglückt ist. Mortensen beherrscht die Leinwand von der ersten Szene an mit einer unglaublichen Präsenz. In Alis manieriertem Auftreten sitzt jede Geste, jedes Wort wird mit bedacht gesprochen. Schauspielerisch ist da nicht mehr viel Luft nach oben. Die beiden alleine rechtfertigen einen Kinobesuch.

Green Book ist ein zugänglicher und gefälliger Film, was ihm auch Kritik eingebracht hat. Bekämpft der Film Stereotypen oder verstärkt er sie (Italoamerikaner mit schneller Faust)? Ist die Geschichte vom geläuterten weißen Mann noch zeitgemäß? Ein Feelgood-Movie? Ist der Film zu harmlos? Green Book ist eine Charakterstudie, keine Provokation sondern Unterhaltungskino. Auf menschlicher Ebene funktioniert der Film am Besten. Es ist kein Nachteil, die Geschichte einem großen Publikum zugänglich zu machen. Genau das schafft Peter Farrelly mit seinen zwei grandiosen Darstellern, indem er immer wieder Bestürzung auslöst und sie im nächsten Moment mit bitterem Witz auffängt. Man lacht im Kino ohnehin viel zu selten.

Peter Farrelly | USA 2018 | OT: Green Book | 130 Min. | 4 out of 5 stars

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