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Das wird jetzt kompliziert. Dabei unterhalten sich hier doch nur zwei Endzwanziger in einem Auto! Es wäre nicht Charlie Kaufman, der vielleicht gefragteste Drehbuchautor unserer Tage (Being John Malkovich, Eternal sunshine of the spotless mind), wenn er in seiner neuen Regiearbeit reinen Tisch machen würde. Denn irgendwas ist hier höchst mysteriös. Die Zeitabläufe geraten hier gehörig durcheinander. Was ist Traum und was Wirklichkeit? Was wie ein Ende einer Romanze beginnt, artet bald in eine lyncheske Fantasie aus. Aber nur fast. Das wird jetzt anstrengend.

Darum geht es

Eine junge Frau (Jessie Buckley) sinniert darüber, ihren Freund Jake (Jesse Plemons), der gerade neben ihr im Auto sitzt, zu verlassen. Sie befinden sich auf einer Autofahrt zu Jakes Eltern. Es ist für sie einer dieser großen Schritte im Laufe einer Beziehung. Ihre Gespräche sind von einer Trostlosigkeit durchzogen, genauso wie die verlassene winterliche Landschaft, durch die sie fahren. Die Eltern (Toni Collette und David Thewlis) verhalten sich während des Abendessens höchst seltsam. Die Situation ist genauso komisch wie unheimlich. Unterbrochen wird die Handlung immer wieder durch Szenen mit einem älteren Schulwart. Der Rückweg führt die beiden Mitten in der Nacht durch ein Schneegestöber zuerst zu einem Fast-Food-Restaurant und dann zu Jakes ehemaliger Highschool. Über den finalen Akt sei nicht zuviel verraten. Es passiert allerhand Seltsames und Unerwartetes.

Was für eine Nacht!

Kommentar

Das erste, was hier ins Auge sticht, ist die Ausstattung. Die Blumenmuster der Tapeten suchen ihres Gleichen. Kameramann Łukasz Żal (Ida, Cold War) setzt die sich über weite Strecken des Films ziehende Autofahrt bravurös im 4:3 Format um. Die verlassene Landschaft, oftmals nur im Hintergrund zu spüren, trägt ihres zur Grundstimmung bei. Die Kamera verläßt das Auto aber nie. Es gibt keine Einstellungen, in denen man das Auto von außen durch die Landschaft fahren sieht. Die rythmische Bewegung der Scheibenwischer durchzieht wie ein Metronom den ganzen Film. I’m thinking of ending things ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert, ohne dass dies je störend wirken würde. Der visuellen Umsetzung steht eine Erzählung gegenüber, die das Publikum wohl zum Großteil ratlos zurücklassen wird. Der Film verlangt dechiffriert zu werden, lässt das aber nur bedingt zu.

Die Romanvorlage stammt vom kanadischen Schriftsteller Iain Reid. Der Film bleibt aber im Gegensatz zum Roman in seinen Andeutungen, die dem leichteren Verständnis dienen, vage. Als gleich zu Beginn der titelgebende Satz in den Gedanken der jungen Frau fällt, scheint es fast so, als hätte ihn Jake gehört. Bald passiere Dinge, die sich nicht leicht erklären lassen. Wenn man genau hinhört, läßt sich vielleicht das größte Rätsel entschlüsseln, das dem Film zugrunde liegt. Es sind Hinweise, wie ein kleines Foto, die wechselnden Namen und Fähigkeiten der jungen Frau, die eine Fährte legen. I’m thinking of ending things muss aus einer literarischen Erzählweise heraus betrachtet werden. Nicht erst im letzten Drittel brechen dann alle erzählerischen Mauern ein. Man kann sich nur zurücklehnen und die wunderbar choreographierten Szenen genießen (Tanzeinlagen!). Folgen kann man der Erzählung hier schon längst nicht mehr. Wenn man bis hierhin durchgehalten hat, die endlosen Dialoge gehen nämlich auf die Substanz, bleibt uns Charlie Kaufman bei einer Laufzeit von über 2 Stunden einiges an Erklärungen schuldig. Oder wer erinnert sich noch genau an Dialogzeilen aus A beautiful mind aus dem Jahr 2001? Schade, denn etwas weniger Rätselhaftigkeit hätte dem Film gut getan. Es ist nicht zuletzt den wunderbaren Darstellern zu verdanken, das man den Figuren bis zuletzt folgen möchte.

Streamingdienst

Netflix


I’AM THINKING OF ENDING THINGS | CHARLIE KAUFMAN | USA 2020 | 134 MIN. | 3.5 out of 5 stars


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