The-Killing-of-a-Sacred-Deer-review

Nachdem der Kriegsherr Agamemnon im heiligen Wald der Artemis einen Hirschen erlegte, zog er deren Zorn auf sich und sollte ihr zur Strafe seine Tochter Iphigenie als Opfer darbieten. So besagt es die griechische Mythologie. Der Regisseur Giorgos Lanthimos ist spätestens seit Dogtooth (2009) Liebling des Arthauskinos und hat eine Vorliebe für solche Parabeln. In seinem neuen Film nimmt er sich diesem Stoff an und wer seine Filme kennt weiss, dass sie dem Publikum einiges abverlangen.

Bei „The Killing of a Sacred Deer“ ist dass nicht anders. Zu Beginn scheint alles bestens zu sein, in der wohlhabenden Familie von Chirurg Steven Murphy (Colin Farell), seiner Frau Anna (Nicole Kidman), einer Augenärztin und den zwei Kindern Bob (Sunny Suljic) und Kim (Raffey Cassidy). Es wäre nicht Lanthimos, wenn sich aber selbst in dieser Idylle keine Abgründe auftun würden. Im Ehebett macht Anna ihrem Mann die Patientin unter Vollnarkose.

Steven hat einen Fehler gemacht. Auf seinem OP-Tisch verstarb ein Patient. Steven war alkoholisiert. Schon von Beginn an zieht sich eine unheilverkündende Musik durch den Film. Man ahnt, dass da etwas kommen wird, aber Lanthimos lässt das Publikum lange zappeln. Martin ist ein Junge (Barry Keoghan) aus ärmlicheren Verhältnissen und Steven kümmert sich um ihn und macht ihm Geschenke. Es ist Anfangs nicht ganz klar, was es mit dieser Beziehung auf sich hat. Dann stellt sich heraus, dass es Martins Vater ist, dessen Tod Steven zu verantworten hat.

Martin dringt immer mehr in die Familie der Murphys ein und freundet sich mit Kim näher an. Dann bekommt Bob wie aus heiterem Himmel vorübergehende Lähmungserscheinungen. Nachdem Kim ebenso zusammenbricht, erklärt Martin Steven im Spital, dass er als Wiedergutmachung für seinen Verlust, ein Familienmitglied opfern soll. Andernfalls folgen den Lähmungserscheinungen zuerst Nahrungsverweigerung, Augenbluten und schließlich der Tod. Bald muss Steven erkennen, dass es tatsächlich ernst ist und sich Martins Prophezeihungen nach und nach bewahrheiten. Er muss handeln.

Lanthimos seziert in seinen Filmen gesellschaftliche Strukturen mit chirurgischer Genauigkeit. Dabei wahrt er größtmögliche Distanz zu seinen Charakteren. Die Dialoge werden mit einer mechanischen Emotionslosigkeit vorgetragen, wie wenn die Darsteller vom Blatt lesen würden. Die Kamera fängt die Räume in weitwinkeligen Einstellungen ein, in denen die Personen verloren wirken. Das Thema ist düster, doch die Sets sind weiß und hell, so dass man die Kälte förmlich spüren kann.

„The Killing of a Sacred Deer“ ist eine Groteske über Lügen, Schuld und Vergeltung. Der visuelle Stil und die Grundstimmung erinnern an Stanley Kubrick. Es wäre eine Geschichte gewesen, die ihm gefallen hätte. Lanthimos‘ Filme sind intensiv und verstörend, aber gleichzeitig von einer Wahrhaftigkeit und Präzision. An ihm führt im Kino zur Zeit kein Weg vorbei.

Giorgos Lanthimos | UK/IL 2017 | 121 Min. | 4 out of 5 stars

© Fotos: Thimfilm

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