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Perfluoroctansäure ist eine Industriechemikalie, die zur Herstellung von Polytetrafluorethylen (PTFE) benötigt wird. Noch nie gehört? Diese Chemikalien sind aber aus unserem Leben kaum wegzudenken. PTFE ist besser unter dem Namen Teflon bekannt. Diese künstlich hergestellten und so gut wie nicht abbaubaren Stoffe können heute in nahezu jedem Lebewesen auf der Welt nachgewiesen werden. Auch bei Eisbären in der Antarktis. Der US-Chemiekonzern DuPont hat mit dieser Chemikalie jahrelang Parkersburg in West Virginia verseucht und die Gesundheit von tausenden Menschen aufs Spiel gesetzt. DuPont gilt als führender Verschmutzer von Trinkwasser in den USA. Regisseur Todd Haynes erzählt in Vergiftete Wahrheit von der Aufdeckung dieses Umweltskandals.

Darum geht es

Der Farmer Wilbur Tennant (Bill Camp) ist wütend. Er hat fast alle seiner Kühe verloren. 160 hat er bereits begraben. Eines Tages knallt er Robert Bilott (Mark Ruffalo), Verteidiger von Chemiekonzernen in einer Anwaltskanzlei, Kisten mit Videokassetten auf den Tisch. Aufnahmen, die für Tennant beweisen sollen, dass mit seinem Land irgendetwas nicht stimmt. Bilott steht normalerweise auf der anderen Seite und vertritt Chemiekonzerne. Die Vorfälle in Parkersburg beschäftigen ihn aber und er beginnt nachzuforschen. Bald stapeln sich Kisten mit Dokumenten der Firma DuPont in seinem Büro.

Der Chemiekonzern ist Hauptarbeitgeber in der kleinen Stadt und offenbar nicht nur unternehmerisch äußert erfolgreich, sondern auch wenn es um Vertuschung und das Verbreiten von Falschinformation geht. Die Spur führt zu einer Deponie von DuPont flussaufwärts. Für Bilott beginnt ein Kampf, der mehrere Jahrzehnte andauern sollte. Sein Boss Tom Terp (Tim Robbins) hält ihm jahrelang den Rücken frei, obwohl der Fall so gar nicht in das Profil der Kanzlei passt. Seine Frau Sarah (Anne Hathaway) merkt, dass sich die Arbeit und die damit einhergehende psychische Belastung, nicht zuletzt in der Angst um Leib und Leben begründet, immer mehr auf die Gesundheit ihres Mannes schlägt. 1999 erhebt Bilott zum ersten Mal Anklage gegen DuPont. Folgeprozesse dauern bis heute an.

Wilbur Tennant (Bill Kamp) kämpft ums Überleben.

Kommentar

Vorweg: Vergiftete Wahrheit hatte im Dezember 2019 Premiere, am Höhepunkt der vergangenen Award Season und wurde sträflich übergangen. Die umweltpolitische Brisanz dieses Ökodramas zieht sich über mehrere Jahrzehnte bis zum heutigen Tag, bis in jeden Haushalt. Hinter einer großen Errungenschaft versteckt sich hier die Gier nach Profit, koste es was es wollte.

Die Entstehung des Films ist zu einem großen Teil seinem Hauptdarsteller zu verdanken. Mark Ruffalo ist dem breiten Publikum durch seine Rolle als Hulk bekannt, spielte aber auch in zahlreichen kleineren Produktionen wie The Kids Are All Right (2011). Hier ist er in einer seiner seltenen Hauptrollen zu sehen. Was weniger bekannt ist: Ruffalo ist auch ein Umweltaktivist und die Verfilmung des Skandals rund um den Konzern DuPont war ihm schon lange ein Anliegen. Vergiftete Wahrheit ist eine seiner stärksten Arbeiten und deren Verwirklichung zum großen Teil im zu verdanken.

Hier wird das Grundproblem klar: ein Schadstoff muss als solcher deklariert werden und die Konzentration, ab der dieser tatsächlich schädlich ist, festgelegt werden. Das passiert nicht nach objektiven Kriterien, sondern jeweils durch eine Kommission, auf die die Industrie großen Einfluss hat. Es ist haarsträubend, wenn man mitbekommt, was hinter den Kulissen zwischen Gesundheitsbehörden und den Stakeholdern abläuft. Das Verdienst von Vergiftete Wahrheit ist, die Missstände aufzuzeigen und einem Pragmatiker die Bühne zu bieten, der sein ganzes Leben in den Dienst dieser Sache stellt: Robert Bilott.

Doch das hier ist kein Heldenepos. Bilott führt einen Kampf, bei dem es keine Gewinner geben kann. Über 600 Millionen Dollar musste DuPont an die Opfer auszahlen aber die Schäden sind nicht wieder gut zu machen. Krebserkrankungen und Kinder, die mit Behinderungen auf die Welt kommen: Vergiftete Wahrheit zeichnet eine düstere Welt. In den braun-grün-stichigen Bildern von Kameramann Ed Lachman gelingt es Todd Haynes eine fast schon dystopische Atmosphäre in mitten der Gesellschaft zu schaffen. Die Kleinstadt Parkersburg mag für uns weit weg sein, wasserabweisende Materialien wie Teflon oder das aus Delaware stammende Gore-tex sind aber Teil unseres Alltags und auf einmal ist die Welt wieder klein.


VERGIFTETE WAHRHEIT (OT: DARK WATERS) | TODD HAYNES | USA 2019 | 216 MIN. | 4.5 out of 5 stars


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