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DER NETFLIX-TIPP

Anthony Weiner ist ein charismatischer und eloquenter Politiker, der sieben Amtszeiten im Kongress von New York saß und durch seine emotionalen Reden landesweit Aufmerksamkeit erregte. So wie zum Beispiel mit seiner Rede anlässlich eines Gesetzesentwurfes für gesundheitliche Hilfe für Ersthelfer von 9/11. Ein wenig fühlt man sich an Matthias Strolz erinnert, wenn er die anderen Abgeordneten durch seine pointierte Rede auf die Palme bringt.

Mit dieser Rede beginnt auch diese Dokumentation, die genauso eine klassische Komödie mit einem tragischen Helden sein könnte, wenn nicht alles wahr wäre, was wir hier zu sehen bekommen. 2011 ist seine Karriere vorerst beendet. Auf seinem Twitter Account taucht ein vermeintliches Foto seiner Nudel auf. In Unterhosen zwar aber das reicht in den USA für einen handfesten Skandal. Da nützt es nichts, dass er behauptet, sein Account wurde gehackt. Weniger später muss er ohnehin zugeben, dass das Foto von ihm stammt.

Huma Abedin ist Weiners Ehefrau und steht entsetzt neben ihm. Die Kamera ist nämlich immer dabei und man fragt sich, wie ist das möglich? Warum gibt es diese Dokumentation überhaupt? Warum läßt Weiner dies zu? Sie wird den ganzen Film über zu ihm stehen. Obwohl sie noch einiges mehr ertragen muss und obwohl sie die engste Mitarbeiterin von Hillary Clinton ist und auch ihre Karriere auf dem Spiel steht. Einmal bittet Weiner dann doch den Kameramann den Raum zu verlassen um sich mit seiner Frau auszusprechen. Man ist fast froh darüber, wenn man ihren Blick sieht. Huma, wie sie liebevoll von der Öffentlichkeit genannt wird, ist eine toughe Frau, die über Jahre nicht von seiner Seite weicht. Sie wird ihn erst 2016 verlassen, lange nachdem die Handlung der Dokumentation endet.

Zwei Jahre später, im Jahr 2013, kandidiert Weiner für das Amt des Bürgermeisters von New York. Er geht mit einem soliden Vorsprung von über 35% ins Rennen. Er stellt sein Wahlkampfteam zusammen, sammelt erfolgreich Spendengelder. Alles verziehen, die Menschen jubeln ihm zu. Bekanntlich wurde er nicht Bürgermeister. Weiner erreichte bloß 4,94%. Warum? Die Dokumentation schildet es detailreich. Manchmal möchte man dabei verlegen im Sofa versinken.

Weiner handelt zum einen von der Doppelmoral der Amerikaner. Jeder Fehltritt wird dankend angenommen und in den Medien tagelang ausgekostet. Inhalte spielen überhaupt keine Rolle mehr. Da die Kamera über einen längeren Zeitraum immer mit dabei war, erhält man einen spannenden Blick hinter die Kulissen einer Wahlkampfmaschinerie. Taktische Überlegungen stehen hier an der Tagesordnung. Und Weiner selbst? Was treibt ihn an? Ist er rein geltungssüchtig? Warum kann er nie einen Schritt zurücktreten? Er weiß nicht wann es genug ist und hält, als ihm das Wasser bist zum Hals steht, auch noch sein Kind in die Kameras.

Zum Vorteil des Publikums, das bestens unterhalten wird.  2016 lief Weiner bei der Viennale und seit einiger Zeit ist er bei Netflix verfügbar.

Josh Kriegman, Elyse Steinberg | USA 2015 | 96 Min. | 4 out of 5 stars

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