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Das Historiendrama mit dem knappen Titel Intrige wurde im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt und gewann sogleich den Großen Preis der Jury. Im Herbst wurde Roman Polanskis Film über die Dreyfus-Affäre in Venedig mit dem Silbernen Löwen, dem Großer Preis der Jury ausgezeichnet und vor wenigen Tagen bekam der französisch-polnische Filmregisseur gleich drei César überreicht. Wobei ganz so stimmt das nicht. Polanski erschien nicht zur Gala in Paris. Er fürchtete sich vor Aktionen von Frauenrechtlerinnen. Längst steht nicht mehr das Werk von Polanski sondern seine Vergangenheit im Mittelpunkt der Berichterstattung. Immer wieder kommt es zu belastenden Anklagen von Frauen, die Polanski missbraucht haben soll. Er bestreitet dies und stellt dabei so manchen Kritiker vor ein selbst auferlegtes moralisches Dilemma. Nämlich vor die Frage, ob Werk und Autor zu trennen seien. Gerade im Fall von Roman Polanski eine nur bedingt notwendige Diskussion. Polanski ist kein Harvey Weinstein. Aber das soll ihr ohnehin nicht Thema sein. Der 87-jährige Regisseur beweist mit Intrige einmal mehr, dass er immer noch zu den bedeutendsten europäischen Regisseuren zählt.

Der Filmtitel – im Original J’Accuse – leitet sich von dem gleichnamigen offenen Brief des französischen Schriftstellers Émile Zola ab, den er 1898 verfasste. Darin klagte er führende Militärs des Amtsmissbrauchs an. Ein gesellschaftlicher und politischer Skandal. Worum ging es? Der junge Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) wurde drei Jahre zuvor wegen Spionage für Deutschland verurteilt und ins Exil auf die Teufelsinsel im Atlantik verbannt. Dem gerade zum Leiter der militärische Abwehreinheit beförderten Offizier Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) eröffnen sich wenig später die dunklen Machenschaften des Militärapparates. Korruption und Vertuschung stehen auf der Tagesordnung. Der Jude Dreyfus war ein Opfer einer antisemitischen Hetzkampagne. Picquart setzt von nun an alles daran, um Dreyfus zu rehabilitieren. Nicht wegen seiner jüdischen Herkunft, sondern der Gerechtigkeit willen. Ein schwieriges und gefährliches Unterfangen. Es ist ein langer Weg, bis die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangt.

Die Geschichte ist verworren und komplex. Schon allein wegen der Vielzahl an beteiligten Personen. Polanski schafft es, sie gemeinsam mit dem Autor Robert Harris klar und verständlich zu erzählen. Intrige legt ein betrügerisches System von Antisemitismus offen. Eine zentrale Rolle spielen dabei handschriftliche Dokumente und deren Analysen. Das Geräusch, des durch Hände gleitenden Papiers, beschwört die Wahrheit herauf, die in den Schriftstücken steckt. Die Rollen sind allesamt exzellent besetzt. Jede Einstellung wirkt wie ein Gemälde. Die Ausstattung ist opulent.

Mag sein, dass Polanski selbst im Schicksal Dreyfus‘ Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Biographie festzumachen vermag. Intrige ist jedoch viel zu unaufgeregt und sachlich, um dahingehend als Manifest verstanden zu werden. Gerade das Ende wird fast beiläufig erzählt. Kein falscher Pathos. Historische Nüchternheit. Ein wichtiger und aktueller Film.

ROMAN POLANSKI | INTRIGE (OT: J’ACCUSE) | F 2019 | 132 MIN. | 4.5 out of 5 stars


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