Während vor dem Fenster der Liebhaber der Ältesten am Bauernhof ein Ständchen singt und der kleine Bruder in einer Bettlade schlummert, geht es vor Aufregung drunter und drüber. Hastig wird die Glühbirne umgeschraubt. Es gibt nämlich nur eine. In einfachen Verhältnissen leben die Menschen auf dem Gut Inviolata. Aber irgendetwas stimmt hier nicht.
Es ist Zahltag. Der Verwalter kommt auf einem Moped gefahren. Allerdings ist die Tabakernte nicht wie erwartet ausgefallen. Die Bauern bleiben in der Schuld einer gewissen Marchesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi). Kurz kommt Unmut auf, nur der naive Lazzaro (Adriano Tardiolo) nimmt alles gelassen hin. Er beobachtet alles glücklich und zufrieden.
Die Bewohner scheinen die Ländereien noch nie verlassen zu haben. Zeitlich ist die Handlung nicht eindeutig einzuordnen. Eines ist aber klar: Die Bauern leben in einer Halbpacht als Leibeigene in feudalen Verhältnissen. Sie werden von der Marchesa ausgebeutet aber sind sich dessen nicht bewusst, weil sie es anders nicht kennen.
Tancredi (Tommaso Ragno), der Sohn der Marchesa, rebelliert gegen seine Mutter und versteckt sich bei den Bauern. Lazzaro freundet sich mit ihm an. Er hat das falsche Spiel seiner Mutter natürlich durchschaut und wehrt sich gegen die Ausbeutung. Eines Tages stürzt Lazzaro einen Fels hinunter. Als er nach einiger Zeit von einem Wolf erweckt wird und wie durch ein Wunder wieder aufsteht, scheint einige Zeit vergangen zu sein.
Regisseurin Alice Rohrwacher verbindet in Lazzaro Felice italienischen Neorealismus mit der Fabelfigur Lazzaro. Die Handlung ist am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus angelegt. In einer nicht zu verortenden Umgebung und fast losgelöst von der Zeit. Für die bald ehemaligen Bauern ist der Unterschied aber nicht allzu groß. Sie kommen immer unter die Räder. Auch der Kapitalismus lässt nichts für sie über. Ihre Arbeit verkaufen sie nicht im marxschen Sinne an den Bestbietenden, sondern müssen sich beim Stundenlohn gegenseitig unterbieten.
Lazzaro Felice ist ein sozialistisches Märchen, in dem der Wolf als klassisches Fabelwesen genauso eine Rolle spielt, wie der Wind als Zitat aus einem bekannten kommunistischen Lied. Er steht für Veränderung aber eigentlich ändert sich nichts. Die Ausbeutung der schwächsten in der Gesellschaft geht immer weiter.
Dass der Film aus der Zeit gefallen zu sein scheint, wird durch die Verwendung von 16-mm-Film noch verstärkt. In Cannes wurde Rohrwacher, die überwiegend mit Laien gedreht hat, für ihr Sozialmärchen mit dem Preis für das Beste Drehbuch ausgezeichnet.
Alice Rohrwacher | IT 2018 | 127 Min. |