Wenn die sechsjährige Moonee (Brooklynn Prince) mit ihren Freunden nahe dem Abwasserkanal spielt und ein paar Meter weiter Helikopter im Minutentakt zu Rundflügen abheben, prallen zwei Welten auf einander. Der Lärm der Rotoren ist nicht zu überhören, doch Regisseur Sean Baker inszeniert das Schauspiel geradezu beiläufig. Das Publikum ist sich der Umstände bewusst, die Kinder nehmen es aber nicht weiter wahr. Der einzige Weg, den sie zurücklegen, ist der zum nächsten Eis Kiosk. Dass sie um Geld betteln müssen, um sich eine Kugel leisten zu können, ist ein Spiel für sie. Moonee und ihre Freunde gehen nicht zur Schule. Sie wissen nicht, dass sie arm sind.
Mit ihrer Mutter Halley (Bria Vinaite) lebt Moonee im Magic Castle Inn & Suites in Orlando, Florida. Wie viele andere können sie es sich nicht leisten, in einer eigenen Wohnung zu leben und dass obwohl ein Zimmer gut 1.000 $ im Monat kostet. Es ist aber einfacher für sie, das nötige Geld Woche für Woche zusammen zu sammeln. Außerdem drückt der Manager Bobby (Willem Dafoe) schon mal eine Auge zu, wenn es sich nicht rechtzeitig ausgeht.
Sean Baker nimmt sich neuerlich einer Bevölkerungsgruppe an, der sonst nicht viel Beachtung geschenkt wird, weder auf der Leinwand, noch in der Realität. Es sind Familien, die versuchen ein möglichst alltägliches Leben zu führen. Nur viel zu tun haben sie nicht. Ohne festen Wohnsitz ist es noch schwieriger eine Arbeit zu finden. Ein Job im Fastfood Restaurant, Parfums auf den Parkplätzen der naheliegenden Golfresorts zu verkaufen oder sich zu prostituieren gehören zu den wenigen Einnahmemöglichkeiten. Eine triste Situation. „The Florida Project“ wird aber aus der Perspektive der Kinder erzählt und für sie ist die Welt in Ordnung und die Nachbarschaft ein Abenteuerspielplatz. Eine Weile geht das auch gut.
Bobby, der Manager des Motels, hetzt von einem Ende zum anderen, um die Gäste zufrieden zu stellen. Er ist die gute Seele der Anlage und ein Schutzengel für die vielen Kinder. Er weiß genau um die Lebensumstände der Menschen hier und schützt sie vor den Augen des Motelbesitzers. Willem Dafoe spielt ihn mit viel Herz. Eine seiner größten Rollen.
Der ständige Kampf ums Überleben steht im krassen Gegensatz zu den Pastellfarben, in die der Film getaucht ist und der geradezu märchenhaften Fürsorglichkeit der Eltern. Von oben scheint die Sonne erbarmungslos vom immer blauen Himmel. Nichts entgeht ihr. Nicht die Drogensucht, nicht die Prostitution und nicht die Behörde, die an die Tür klopft. Der Staat vernachlässigt die Menschen, fordert aber gleichzeitig ihre Pflichten ein.
Das vier Freizeitparks umfassende Walt Disney World Resort ist nur wenige Kilometer entfernt. Der Filmtitel bezieht sich auf dessen Arbeitstitel aus den 1960er Jahren. Das Magic Kingdom ist Sehnsuchtsort der Kinder. In ihrer naiven Sichtweise ist es das Paradies auf Erden und das Schloss von Cinderella Rettung in der Not.
„The Florida Project“ ist ein Hybirdfilm. Laien und reale Gäste des Motels spielen neben Schauspielern. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Das funktioniert erstaunlich gut. Die Unterscheidung fällt da nicht immer leicht. Die Kinder sind allesamt großartig. Bakers Film rettet Menschen vor dem Vergessenwerden, die in der Öffentlichkeit keine Stimme haben, von denen viele nicht einmal wissen, dass sie existieren. Ein beeindruckendes Portrait von Menschen am Rande der Gesellschaft.
Sean Baker | USA 2017 | 111 Min. |
© Foto: Thimfilm