happyend

Am Beginn sieht man ein Handyvideo. Die 13-jährige Eve (Fantine Harduin) vergiftet ihren Hamster mit Schlaftabletten, dokumentiert dies mit einem kühlen Kommentar, ebenso wie anschließend den Selbstmordversuch der Mutter, bevor sie die Rettung ruft. Dann erst kommt der Filmtitel. Michael Haneke hat in der Vergangenheit dem Publikum schon Einiges zugemutet. Man ist also gewappnet. Allerdings verhält es sich mit „Happy End“ anders. Der Sarkasmus steckt schon im Titel.

Die großbürgerliche Familie Laurent, um die es hier geht, ist in Calais in der Baubranche tätig. Anzunehmen, dass sie durch den Bau des Eurotunnels reich geworden ist. Erwähnt wird das nicht direkt. Kilometerlange, meterhohe Zäune und Flüchtlinge auf der Straße sind jedoch allgegenwärtig und unterstreichen die Brisanz dieses Ortes. Sämtliche Dienstleistungen werden von Migranten übernommen. Für Viele ist Calais das verhängnisvolle Tor nach Großbritannien. 

Das kümmert die Familie Laurent aber herzlich wenig. Die ist nämlich ziemlich kaputt. Jean-Louis Trintignant ist Georges, der Patriarch in der Familie. Es ist eine Fortführung seiner Rolle aus Hanekes letztem Film „Amour“. Er versucht sich immer wieder das Leben zu nehmen. Sein Sohn Thomas (Mathieu Kassovitz) betrügt eine Frau nach der anderen. Anna, gespielt von Isabelle Huppert ist Georges‘ Tochter, die Versucht die Firma am Leben zu erhalten, genauso wie sie versucht, die Familie zusammenzuhalten und ihren Sohn Pierre (Franz Rogowski) auf die Linie der Familie und der Firma zu bringen. Notfalls bricht sie ihm dafür einen Finger. Und dann ist da eben noch Eve, Thomas‘ Tochter aus erster Ehe, die in das Haus der Familie in Calais zieht. 

Beiläufig erzählt Haneke von tragischen Ereignissen in der Familie und unterstreicht so deren Kaltherzigkeit. Der Vater ist verwundert über die psychische Lage von Eve, wie überhaupt die Konstellationen in der Familie den Film zu einer Groteske machen. Das nimmt etwas von der Dramatik. Im Detail liegt jedoch eine innere Wahrhaftigkeit der Figuren, die Haneke gewohnt präzise ausarbeitet.

„Papa, ich weiß, dass niemanden liebst“ Diese Einsicht kommt von Eve, nachdem sie selbst einen Selbstmordversuch unternommen hat. Es dauert ein wenig, bis sich aufgrund der Vielzahl an Charakteren herauskristallisiert, wer die zentralen Protagonisten in dieser Geschichte sind. Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Manch Handlungsstrang erschließt sich durch Chats und Mails. Eine Herausforderung, wenn man es mit Namen nicht so genau nimmt. Es sind Georges und Eve die ins Zentrum rücken. Georges findet in Eve jemanden, der verstehen kann, dass er jegliche Lebenslust verloren hat. Diese Seelenverwandtschaft, das Aufeinandertreffen des Schauspielgiganten und des kleinen Mädchens, machen das Wesen dieses Filmes aus.

Man kann bedingt durch die Vielzahl an Handlungssträgen und Thematiken auch kurzfristig den Überblick verlieren. Haneke fordert das Publikum in mehrerlei Hinsicht. Als Georges auf der Straße eine Gruppe von jungen afrikanischen Männern anspricht, wird die Konversation vom Straßenlärm überdeckt. Es lässt sich erahnen, um welchen Gefallen er die Männer bittet. „Happy End“ ist handzahmer als Hanekes vorangegangene Filme, jedoch fehlt es ihm nicht an gesellschaftskritischer Brisanz. 

Nachdem die Academy im letzten Jahr Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ kurzfristig wegen „unausgewogener kreativer Beteiligung“ als Kandidat für den Auslandsoscar ablehnte (um ihn dann doch zuzulassen), versucht man heuer neuerlich das Glück mit einer Koproduktion, bei der kaum 15% des Budgets aus Österreich stammen. Solche Entscheidungen sind, genauso wie bei den Nominierungen der Studios in den USA, immer von taktischer Natur. Mit welcher Einreichung bestehen die besten Chancen? Da hat ein Film in französischer Sprache mit allerhand Stars vor und hinter der Kamera einen Vorteil gegenüber einem Regieerstling im Salzburger Dialekt. Zu unrecht. Leider.

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Michael Haneke, F/D/A 2017 110 Min.

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