Phantom Thread

Wenn ein Mann eine eigenwillige Bindung zu seiner bereits verstorbenen Mutter hat, sollte man gewarnt sein. Der im London der 1950er Jahre von der High Society verehrte Schneider Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) nähte schon immer gerne Dinge von persönlichem Wert in seine Kleidung ein. Eine Haarlocke seiner Mutter trägt er stetig am Herzen.

Leinen, Spitze, Samt und Seide sind sein Metier. Schön sind die Kleider nicht. Sperrig und steif wirken sie. Für die Frauen aber bedeuten sie viel. Die Textilien geben ihnen Selbstwertgefühl und Sicherheit. Penibel vermisst Woodcock seine Kundinnen und stülpt ihnen die Roben wie eine zweite Haut über, beseitigt so jeden Makel.

Die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) hat der Couturier gerade auf einem Landausflug kennengelernt. Beim Frühstück, dem in seinem Leben eine besondere Bedeutung zukommt. Später wird man erfahren, dass er bei Tisch, versunken in sein Skizzenbuch, keine Ablenkungen ertragen kann. Schon das geringste Geräusch verursacht Stirnfalten. Wenn Woodcock am Frühstückstisch gestört wird, erholt er sich den ganzen Tag nicht mehr, weiß Cyril (Lesley Manville), seine Schwester und Assistentin.

Alma nimmt eben gerade an diesem Frühstückstisch Platz, neben Woodcock und der allgegenwärtigen Cyril. Gerade hat dort noch ihre Vorgängerin gesessen, aber nun ist sie seine neue Muse. Woodcocks Stimme ist dünn und sanft aber in ihrer Fragilität umso bestimmend. Er duldet keine Widerrede. Für ihn gibt es nichts als die Arbeit. Für Liebe bleibt da nicht viel übrig.

Woodcocks Betulichkeit fügt sich zu manch komischen Momenten. Doch genauso wie er die Kontrolle über jede Falte seiner Stoffe haben muss, gilt dies auch für die Mensche in seiner Umgebung. Mit Alma hat er sich aber eine starke Persönlichkeit ins Haus geholt. Sie gibt die Widerspenstige und stellt sich ihm entgegen. Sie will um seine Liebe kämpfen und wird dabei zu drastischen Mitteln greifen.

Daniel Day-Lewis geht neuerlich in seiner Rolle auf, scheint nicht zu spielen sondern ist. Vielleicht hat er sich durch diesen Kraftakt dermaßen verausgabt, dass er sich am Ende der Dreharbeiten zu der Aussage hinreißen hat lassen, dies sei seine letzte Rolle gewesen. Wir werden sehen. Mit Lesley Manville und dem luxemburger Shootingsstar Vicky Krieps hat Day-Lewis jedenfalls ein starkes Gegenüber. „Phantom Thread“ ist auch eine großartige Ensembleleistung.

Als Vorbild für seine Hauptfigur diente Paul Thomas Anderson der spanische Modedesigner Cristóbal Balenciaga. Der Drehort, ein Haus im viktorianischen Stil, die Dreieckskonstellation und die Rolle einer toten Frau im Hintergrund erinnern nicht zufällig an „Rebecca“. „Phantom Thread“ ist eine Variation dieses Themas.

Die Musik stammt von Jonny Greenwood, neben Thom Yorke Mastermind bei Radiohead. Ein lückenloser orchestraler Klangteppich überspannt den Film von Anfang bis Ende. Dabei funktioniert die Musik als eigene dramaturgische Ebene. Sie unterstützt nicht das Gesehene auf emotionale Weise, sondern konterkariert es, verändert die Sichtweise und bringt die Geschichte voran.

In den Credits fehlt übrigens der Kameramann. Der Favorit Robert Elswit („There Will be blood“) hatte keine Zeit und Anderson verzichtete auf Ersatz. Für sich beanspruchen wollte er den Titel aber dann auch nicht und bezeichnet das Ergebnis als Teamarbeit.

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die romantisch, düster und trotzdem unterhaltsam ist.

Paul Thomas Anderson USA 2017 131 Min.  4 out of 5 stars

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