Suspiria

Dario Argento gelang mit Suspiria im Jahr 1977 der Durchbruch. Publikum und Kritiker waren sich einig, hier einen einzigartigen Horrorfilm vor sich zu haben. Jahrzehntelang stand der Film in Deutschland auf dem Index und durfte nur unter dem Ladentisch gehandelt werden, was sicher dazu beitrug, dass er zu einen Kultklassiker avancierte. Für die Behörde war die Geschichte rund um eine von Hexen geführte Ballettschule zu grausam. Dabei besticht Suspiria durch seinen markanten visuellen Stil und den wunderbaren Soundtrack der eigens gegründeten Band Goblin. Zum 40. Jahr Jubiläum erschien eine restaurierte Fassung und anlässlich des Kinostarts der Neuverfilmung ist der Film nun auch wieder in Sondervorführungen auf der Leinwand zu sehen. Vergessen sind alle Vorbehalte. Suspiria ist längst Kulturgut.

Es ist ein Langzeitprojekt von Regisseur Lucca Guardagnino, der 2017 mit Call me by your Name einen großen Erfolg feierte und sich mit seiner Version einem Stück italienischer Filmgeschichte annimmt. Dabei handelt es sich weniger um ein Remake, sondern vielmehr um eine Neuinterpretation. Die Rahmenhandelung ist gleich geblieben: Die junge US-Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) kommt nach Deutschland, diesmal nach Berlin, um an der berühmten Markos Akademie vorzutanzen. Zufällig wurde gerade ein Platz frei. Das kundige Publikum weiß warum. Dass die Ballettschule von einem Hexenzirkel geführt wird, der vor exzessiver Gewalt nicht zurückschreckt, ist heute kein großes Geheimnis mehr.

Ansonsten versucht sich Guardagnino bewusst vom Original fernzuhalten. Nichts ist geblieben von Argentos satten Farben. Blasse Farben und Brauntöne verhelfen den Film zu einem eigenständigen Look. Die Handlung wird nun auch aus der Tanzschule getragen. Der Deutsche Herbst ist allgegenwärtig. Guardagnino fängt die Atmosphäre in der geteilten Stadt, wo die Nazivergangenheit noch in greifbarer Nähe ist, gekonnt ein und integriert sie in die Geschichte.

Der Psychotherapeut Josef Klemperer (Guardanino zeigt den Schauspieler Lutz Ebersdorf in seiner ersten und letzten Rolle) erfährt über seine verstörten Patientinnen von der Akademie und wird misstrauisch, ob der höchst seltsamen Vorgänge dort. Dabei wird er mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert und wir einmal mehr mit der Geschichte Deutschlands.

In der Neufassung wird dem Tanz selbst eine viel größere Rolle einberaumt. Ballettmeisterin Madame Blanc (Tilda Swinton) probt gerade das Stück Volk. Erster Höhepunkt ist ein aggressiver Tanz von Susie, der unmittelbare physische Auswirkungen auf Olga (Elena Fokina) in einem anderen Tanzsaal hat. Eine in Ungnade gefallenen Tänzerin. Diese Montage fährt dem Publikum im buchstäblichen Sinn in die Knochen. Verstörend und beeindruckend zugleich.

Der Cast besteht ausschließlich aus Frauen. Ja, Guardagnino und Swinton haben sich mit dem Publikum einen kleinen Spaß erlaubt! Mit dabei sind auch die beiden deutschen Schauspielerinnen Ingrid Caven und Angela Winkler. Für den brillianten Soundtrack zeichnet sich Radiohead Frontmann Thom Yorke verantwortlich. Er steht dem Original um nichts nach.

Guardagnino braucht eine Stunde länger als Dario Argento um seine Geschichte zu erzählen. Das ist nicht ganz nachvollziehbar und mildert den sonst stimmigen Filmgenuss. Am Ende ließ Argento Spielraum für Interpretationen. Guardagnino feiert ein finales Orgienmysterientheater mit opulent inszenierten Blutfontänen und lässt nichts offen.

Lucca Guardagnino | I/USA 2018 | 152 Min | 3.5 out of 5 stars

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