Vice__Der_zweite_Mann

Politik ist nicht nur ein schmutziges Geschäft sondern auch noch ein äußerst unmoralisches. Zumindest wenn es um echte Macht geht. Einer der Macht in einem Amt konzentriert hat, wie kaum ein anderer in der westlichen Welt, ist der ehemalige US-Vizepräsident Dick Cheney. Regisseur Adam McKay (The Big Short, 2015) schildert in bissigen Politsatire Vice – Der Zweite Mann dessen Werdegang. Der Film wurde für gleich 8 Oscars nominiert.

Eine objektive Rückschau darf man sich hier nicht erwarten. Vice – Der Zweite Mann ist eine Abrechnung mit Dick Cheney und dem politischen Establishment seiner Zeit. Daraus machen weder McKay noch sein Hauptdarsteller Christian Bale ein Geheimnis. Sämtliche Jugendsünden vom Rausschmiss aus der Yale-Universität bis zu einer Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer stehen gleich zu Beginn dieses 50 Jahre umspannenden Biopics.

In den ersten Jahren ist der Schauspieler Bale noch gut zu erkennen. Parallel zum realen Vorbild vollzieht der dann aber über die Jahrzehnte eine physische Transformation, wenn auch mit Hilfe einer dicken Silikonmaske, die mit grimmiger Mimik und schlürfendem Gang zu den großen Momenten der Schauspielkunst in diesem Jahr zählen dürfen.

Vice – Der Zweite Mann wurde sehr kontroversiell aufgenommen, dabei hält sich Adam McKay an Fakten (kleinere Ungenauigkeiten können mit dem Blick auf das Ganze vernachlässigt werden) aber auch an Wahrscheinlichkeiten. Wenn über den Inhalt von Schlüsselszenen,  keine Gewissheit herrschen kann, wird das im Off-Kommentar auch explizit erwähnt. Kurt, Familienvater und Soldat im Irak-Krieg, gespielt von Jesse Plemons, ist der Erzähler. Er gibt der nicht zuletzt aufgrund der Fülle an Informationen und dem hohen Erzähltempo für das Publikum anspruchsvolle  Handlungsebene einen Rahmen. Über den Konnex von Kurt und Cheney lässt McKay das Publikum lange im Ungewissen. Es ist einer der unzähligen kreativen Einfälle, mit denen der Film vollgepackt ist. 

Cheneys politische  Karriere reicht bis in die 1970er Jahre zurück: erst Stabschef im Weißen Haus unter Gerald Ford (1975-77), dann Kongressabgeordneter (1979-89) und  Verteidigungsminister unter George Bush Senior (1989 -1993). Es folgt der Rückzug in die Privatwirtschaft. An die Firma Halliburton wird sich vielleicht der eine oder andere noch erinnern. Hier bricht der Film ab. Es hätte ein Ende sein können. War es aber nicht. Es ist die Zeit, in der sich die Tochter der Cheneys, Mary, als lesbisch outet. Papa Dick akzeptiert dies, seine Frau Lynne (ebenfalls großartig immer an seiner Seite: Amy Adams) weniger. Für einen erzkonservativen Politiker ist das aber ein Problem. Es ist eine der Stellen im Film, wo sichtbar wird, dass die eigenen Werte von Politikern keine Rolle spielen, wenn es darum geht, die eigene Klientel zu bedienen. 

Vice - Der zweite Mann
George W. Bush (Sam Rockwell) und Dick Cheney (Christian Bale): ein folgenschwerer Deal.

Das Karriereende war es bekanntlich nicht. Von 2001 bis 2009 war Cheney die Nummer Zwei unter US-Präsident George W. Bush. Sam Rockwell zeigt uns den Präsidentensohn so, dass uns selbst retrospektiv noch einmal Angst und Bange wird. Eine Gesetzeslücke und ein Deal mit Bush macht es Dick Cheney aber möglich, zum wahrlich mächtigsten Mann im Staat aufzusteigen. Dafür reichte die Motivation dann doch noch. Fortan war er an Entscheidungen über die Invasion im Irak und Verhöre mit Foltermethoden beteiligt und der Existenz von geheimen CIA- Gefängnissen vertraut. Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit wurde ein Überwachungsapparat mit weitreichenden Befugnissen aufgebaut. Entscheidungen, die hunderttausenden Menschen das Leben kosteten. Das ist alles mehr als unschön. Die schräge Inszenierung macht die deftigen, teilweise stakkatoartig auf das Publikum losgelassenen Bilder erträglicher.  

Colin Powells (Tyler Perry) zu trauriger Berühmtheit gelangte Rede vor der UNO, die zum Einmarsch im Irak führte, war das Ergebnis der Befragung sogenannter Fokusgruppen, nach denen das politische Handeln ausgerichtet wurde. Das genaue Benennen von Feindbildern ist dabei zentral. Ein scheinbar nicht umzubringender Charakter während dieser Zeit war der skrupellose Verteidigungsminister Donald Rumsfeld (Steve Carell). Ein enger Weggefährte Cheney und als einziger eingeweiht in seine Machenschaften. 2008 gab der US-Senatsausschuss ihm die Schuld an Foltergefängnissen und dergleichen. Dick Cheney war nie Thema einer Untersuchung. Die Folge einer Strategie, die er sich über die Jahre mit seinen Anwälten zurechtgelegt hatte.

Anhängern der Republikaner dürfte das weniger gut gefallen. Da die USA diesbezüglich ziemlich gespalten sind, schlägt sich das auch in der Rezeption von Vice – Der Zweite Mann nieder. Der Wahrheitsgehalt wird angezweifelt. Dabei gibt Adam McKay mit einem Augenzwinkern in der Mid-Credits-Szenen eine Antwort darauf. Ohne rechtliche Absicherung wäre so ein Film, auch wenn es eine Satire ist, nicht möglich. Produziert wurde der Film von Annapurna Pictures, die in der Vergangenheit schon mit Zero Dark Thirty und Detroit von Kathryn Bigelow unangenehme Kapitel der US-Geschichte aufgearbeitet haben. 

Neuerlich gelingt es Adam McKay ein komplexes Thema durch seinen ungewöhnlichen Erzählstil verständlich zu machen. Obwohl amüsant, ist trotzdem die Konzentration des Publikums gefordert. McKay steigt in Dialoge abrupt ein und aus. Ein Exkurs folgt dem nächsten. Bei den Oscars wird das möglicherweise mit einem Preis für den Schnitt honoriert werden. In den restlichen Kategorien (Film, Regie, Haupt- und NebendarstellerInnen) ist Vice – Der Zweite Mann ein paar Tage vor der Verleihung Außenseiter.  

Warum kommt der Film gerade jetzt? Hier wird deutlich, welche Folgewirkungen Wahlergebnisse und politische Entscheidungen über Jahrzehnte haben können.

ADAM MCKAY | USA 2018 | OT: Vice | 132 Min | [usr: 5]

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