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Die Filme der Marvel Studios sind ein Phänomen. Soviel ist klar. Über 11 Jahre haben sie eine ganze Armee an Superhelden hervorgebracht. Eine ständig wachsende Fangemeinde hat den nun 22 Filmen zu einem bombastischen Erfolg verholfen. Die Schauspieler Robert Downey Jr. und Chris Evans haben ihre Figuren Tony Stark/Iron Man und Steve Rogers/Captain America zu überlebensgroßen Identifikationsobjekten werden lassen. Da kann ein Leinwandauftritt der beiden das Publikum im Kinosaal schon mal in ein hörbares Entzücken versetzen. Mitunter reicht dazu ein Körperteil aus, speziell wenn es „all America’s ass“ ist. Unter dem wachsamen Auge von Marvel Studios Produzent Kevin Feige hat sich das Marvel Cinematic Universum (MCU) über die Jahre zu einer gewaltigen Unternehmung entwickelt, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht. Mit Avengers: Endgame kommt die Saga zu einem vorläufigen Endpunkt. Jahrelang entwickelte Handlungsstränge laufen hier zusammen. Trotz aller Marktmacht ein mutiges Konzept. Ohne Vorkenntnisse erschließt sich das neue Abenteuer nämlich nur bedingt. Das Studio hat aber einen großen Vorteil: es weiß ganz genau, was sein treues Publikum erwartet – und liefert. Doch was bedeutet das für die Qualitäten des Films an sich?

Avengers: Endgame schließt nahtlos an Avengers: Infinity War aus dem vergangenen Jahr an. Überbösewicht Thanos (Josh Brolin) hatte seinen Handschuh mit den sechs Infinty Steinen bestückt, die ihn allmächtig machten. Für ihn wurde es zu eng im Universum. Mit einem Fingerschnippen löschte er die Hälfte aller Lebewesen aus. Auf der Erde und auch sonst wo. Darunter auch bekannte Helden wie Spider-Man und Black Panther. Ein an sich interessanter Einfall, der das Publikum unvorbereitet traf. Allein ist das mit Zeit und Raum im MCU so eine Sache. Schon in Dr. Strange (2016) und Ant-Man and the Was (2018) wurden zumindest andeutungsweise Tür und Tor für eine nicht lineare Erzählweise geöffnet.

Trotzdem lässt sich Avengers: Endgame erst einmal viel Zeit, um die einzelnen Helden in ihrer Trauer und Verzweiflung zu zeigen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger halten sich die Actionsequenzen nämlich hier in Grenzen. Vor allem hinsichtlich der Lauflänge von drei Stunden und einer Minute. Die, dass muss man sagen, im Gegensatz zu vorangegangenen Abenteuern mit Überlänge, recht kurzweilig dahingehen. Das große Finale will zelebriert werden. War der Blick der Filme bisher immer in die Zukunft gerichtet, um immer dem nächsten Teil den Boden zu bereiten, kommt nun eine Art best of. Es gibt sie, die witzigen und spannenden Sequenzen und zahlreiche Referenzen und wenn man mit der Vergangenheit des Universums firm ist, kann das auch durchaus Spaß machen. Neu ist hier aber nichts. Der Blockbuster ist an seine Grenzen gestoßen.

Gerade die gerne betonte anfängliche Fokussierung auf die privaten Helden und die Charakterentwicklung funktioniert nur bedingt. Im Alltag kommen die Schwächen und Ungereimtheiten zum Tragen. Marvel funktioniert nur im Bombast. Diese Widersprüchlichkeit der Charaktere ist aber gleichzeitig zentrales Identifikationsmoment.

Bei einem Autokauf spielt seit eh und je die Emotion die größte Rolle. Meist steht das versprochene Lebensgefühl über jeder rationalen Kaufentscheidung. Ähnlich verhält es sich mit den Marvel Superhelden. Die Reaktionen von Publikum und Presse sind durchwegs positiv bis euphorisch. (Wobei sich die Fachpresse wie so oft diesseits und jenseits des Atlantiks nicht ganz einig ist.) Nicht selten lässt sich einer zu der Aussage hinreißen, gerade den besten Film seines Lebens gesehen zu haben. Da wären wir wieder beim Marvel Phänomen. Für eine heranwachsende Generation hat die Filmreihe einen Stellenwert, der alles in den Schatten stellt. Durchschnittlich mehr als zwei Filme pro Jahr haben ihre Spuren hinterlassen. Bei gleichzeitig insgesamt rückläufigen Kinobesuchszahlen. Der Grad der emotionalen Bindung ist sonst wohl nur mit Star Wars zu vergleichen. Wobei Marvel eben einen Masterplan verfolgte, den es bei Star Wars nicht gibt. Darüber hinaus sind die narrativen Möglichkeiten im Krieg der Sterne durch die lange Zeitspanne von über 40 Jahren und die Einschreibung in das kollektive Gedächtnis begrenzter und das Publikum weniger offen gegenüber Neuerungen.

Soviel sei verraten: Captain Marvel eilt wie erwartet zu Hilfe. Für eine weibliche Führungsrolle unter den Avengers hat es aber dann doch nicht gereicht. Sie bleibt eine Randfigur. Am Ende wird sich der elfjährige Spannungsbogen schließen. Ob aus dramaturgischen Gründen oder wegen auslaufender Verträge spielt eigentlich keine Rolle. Das MCU wird ohnehin weiter expandieren und jeder Cameoauftritt eines Avengers mit perfektem Haarschnitt das Publikum immer aufs Neue verzücken.

ANTHONY AND JOE RUSSO | USA 2019 | 3 Stunden und 1 Minute | 3 out of 5 stars

Foto ©Marvel Studios 2019


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