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Mit Christian Friedel, Sandra Hüller Regie Jonathan Glazer
Ab 14 Länge 106 Minuten

OSCAR GEWINNER

Das Interessengebiet des KZ Auschwitz bezeichnete die Sperrzone rund um das Vernichtungslager in Polen. Direkt an dessen Außenmauern befand sich das Einfamilienhaus des Lagerkommandanten Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig. Von Mai 1940 bis Juli 1944 lebten sie dort mit ihren vier Kindern in einer Parallelwelt, völlig unbehelligt davon, welch buchstäblicher Alptraum sich auf der anderen Seite der Mauer zutrug. Regisseur Jonathan Glazer (UNDER THE SKIN, 2013. Verfügbar bei Amazon Prime) hat einen sehr speziellen Weg gefunden, das Grauen spürbar zu machen, in dem er es nicht zeigt. Mit Sandra Hüller und Christian Friedel hat er zwei formidable Schauspieler gefunden und wurde dafür in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. THE ZONE OF INTEREST war bei den Oscars 2024 5-fach nominiert und wurde als Bester Internationaler Film und für den Besten Ton ausgezeichnet.

Sandra Hüller als Hedwig Höß spaziert mit Kind im Arm durch ihren Blumengarten.
Sandra Hüller in THE ZONE OF INTEREST (Jonathan Glazer, 2023)

Kurzkritik

Hanna Arendt prägte 1963, während sie den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem beobachtete, die nicht unumstrittene Beschreibung von der „Banalität des Bösen“. Der britische Regisseur Jonathan Glazer hat sich in seinem fünften Spielfilm nun aus einer bürokratisch technokratischen Perspektive an die Todesmaschinerie der Nationalsozialisten angenähert. Banal ist hier der Alltag, dem das Ehepaar nachgeht. Ganz im Gegensatz zu der Katastrophe, die sich gleichzeitig wenige Meter weiter ereignet.

Regisseur Jonathan Glazer ließ das Haus, in dem das Ehepaar Höß mit seinen fünf Kindern lebte, originalgetreu von Szenenbildner Chris Oddy in Auschwitz nachbauen (das Originalhaus befindet sich in Privatbesitz). Dafür wurde bereits Monate vor den Dreharbeiten damit begonnen, den Garten, um den sich Hedwig Höß so führsorglich kümmerte, anzulegen. In der Bildästhetik lies sich Glazer von zeitgenössischen Filmaufnahmen inspirieren: Die Kamera bewegt sich kaum und die matten Farbtöne erinnern an Agfacolor. Im Haus wurden zehn automatisierte Kameras verbaut, damit sich die Schauspieler ungestört und scheinbar unbeobachtet bewegen konnten. Für einige Szenen kamen Nachtsichtkameras zum Einsatz.

Der Rudi nennt mich „Die Königin von Auschwitz“.

Hedwig Höss in THE ZONE OF INTEREST

In Uniform oder komplett weiß gekleidet sehen wir Höß in seiner Villa, im Garten und mit seinem Sohn ausreiten. Nur vom Lager selbst sehen wir nur, was über die Mauern hinausragt. Dazu ziehen Tag und Nacht dunkle Rauschwaden über den Himmel. Es sind Gespräche und zahlreiche Details, die eine Atmosphäre des Unbehagens schaffen. Einmal freut sich Hedwig Höß über einen in einer gestohlenen Zahnpastatube versteckten Diamanten.

Vor allem aber ist es die Arbeit von Sound Designer Johnnie Burns (siehe Video unten), die die einzige permanente Verbindung zum Lager darstellt (gemeinsam mit Tarn Willers ist er für einen Oscar nominiert). Über Monate sammelte er verschiedenste Geräusche, um am Ende den ungewöhnlichen Soundtrack für THE ZONE OF INTEREST zu schaffen: ein ständiges Brummen, Schüsse und Geschrei. All das wird von der Familie Höß ignoriert. Dabei stützt sich diese Darstellung auf historische Aufzeichnungen, die den völlig von Empathie befreiten Charakter von Rudolf Höß beschreiben, der sich bis zuletzt keiner Schuld bewusst war.

Es ist eine vollkommen anderen Herangehensweise als etwa jene von Stephen Spielberg in SCHINDLERS LISTE. Dort plastische Darstellungen von Gewalt, ein Stil, der ihm trotz des Erfolges immer noch nachgetragen werden und bei Glazer die vollkommene Abstinenz von eindringlichen Bildern. Man könnte anmerken, dass es auch bei Glazer ein spezieller Effekt ist, der eine Emotion hervorruft (ist es bei Claude Lanzmanns SHOAH aus dem Jahr 1985 nicht anders?). Allerdings wurde schon alles gezeigt und es reichen die Bilder unserer Phantasie aus, um das Geschehene einordnen zu können. Da im Film generell den Darstellungsweisen längst keine Grenzen mehr gesetzt sind und sie gleichzeitig der Realität nie gerecht werden können (und das auch nicht zielführend wäre), ist es die logische filmtechnische Fortführung. Das gipfelt in jenem Moment, als wir uns doch einmal im Lager befinden. Die Kamera blickt jedoch von unten auf den vermutlich auf seinem Pferd sitzenden Höß hinauf. Was wir da über die Tonspur hören, wollen wir gar nicht sehen. Spielberg war der Meinung, man müsse dem Publikum das Grauen vor Augen führen. Jonathan Glazer stellt die Darstellung des Naziterrors 31 Jahre später nun eindringlich und effektiv auf eine völlig neue Stufe.

THE ZONE OF INTEREST, USA/UK/POL 2023
Drama Ab 14 Länge 106 Minuten
Regie und Drehbuch Jonathan Glazer Kamera Łukasz Żal Schnitt Paul Watts
Musik Mica Levi Mit Christian Friedel, Sandra Hüller


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