Die 96. Verleihung der Academy Awards, die alle nach der überreichten Statuette Oscars nennen, begann diesmal 5 Minuten zu spät – oder doch 55 Minuten zu früh? Jedenfalls nach unserer Zeitrechnung um Mitternacht. Ein Detail, das hierzulande nur alle jene betrifft, die alle Jahre wieder in einem Kino oder vor dem Fernseher ausharren, um das Ereignis live mitzuerleben. Es war gleich zu Beginn Thema in der Moderation von Jimmy Kimmel und wird am Ende, soviel darf jetzt verraten werden, nach dreieinhalb Stunden völlig irrelevant gewesen sein. Abgesehen davon, dass um 3:30 keine U-Bahn nach Hause fährt.
Erfreulicherweise hat das schon starke Filmjahr 2022 (hier nachzulesen) im Folgejahr eine würdige Fortsetzung gefunden. Neuerlich waren die 10 in der Kategorie Bester Film nominierten Filme allesamt sehenswert. Und nicht nur die. Oppenheimer von Christopher Nolan wurde seiner Favoritenrolle gerecht. Es gab aber durchwegs mehr Überraschungssieger, als es im ersten Moment den Anschein hat.
Titelbild: Cillian Murphy in Oppenheimer
Die Oscars
7 Oscars für Oppenheimer und somit gleichviele wie Everything Everywhere All At Once (Prime Video), der Überraschungssieger aus 2023. Für die Statistik: Christopher Nolans Epos ist nun einer von fünf Filmen, denen das in den letzten 25 Jahren geglückt ist. Setzt man die Zahlenspiele fort, so hat Poor Things mit vier Preisen in diesem Jahr die Rolle von Im Westen nichts Neues (Netflix) übernommen. Apropos Streamingdienste: Die schauten in diesem Jahr ziemlich durch die Finger. Wes Anderson erhielt fast unbemerkt seinen ersten Oscar für den Kurzfilm The Wonderful Story of Henry Sugar (Netflix), den ersten einer vierteiligen Serie von Kurzgeschichten des Autors Roald Dahl. Es sollte die einzige Auszeichnung für Netflix bleiben. Dabei hatten Netflix und Apple zusammen 32 Nominierungen. Bei Apple ging man mit Killers of the Flower Moon komplett leer aus. Netflix hatte sich mit May December mit Julianne Moore und Natalie Portman (ab 6. Juni im Kino) wohl auch mehr Erfolg erwartet, wurde aber bereits im Vorfeld mit nur einer Nominierung bedacht.
Vor 20-30 Jahren hätte Martin Scorsese vermutlich alle 10 Preise erhalten. Doch heute gibt es mit Christopher Nolan jemanden, der Gegenwartskino macht. Scorsese wirkt da etwas aus der Zeit gefallen. Paradoxerweise gilt das nicht für den Inhalt. Hier ist Scorsese mehr als aktuell. Nolan wiederum verweigert sich einem aktuellen Diskurs zur Atombombe. Eine Thematik, die sich gerade wieder mit großen Schritten auf uns zubewegt. Weswegen ich Oppenheimer auch für überschätzt halte.
In der Kategorie für die Beste Regie alle Jahre wieder die Diskussion der unterrepräsentierten Frauen. Diesmal immerhin mit einer Nominierung für Justine Triet (Anatomie eines Falles). Greta Gerwig ging mit Barbie leer aus aber gegen wen tauschen, in dem hochqualitativen Feld? Es sind nach wie vor nur 5 Nominierungen möglich. Einen Oscar gab es für Barbie. Es war der zweite innerhalb von zwei Jahren für Billie Eilish. Interessanterweise wurde, wie es zu erwarten war, What was i made for? als Bester Song ausgezeichnet und nicht I’m just Ken. Die Performance von Ryan Gosling war der angekündigte Höhepunkt des Abends. Viele mehr gab es nicht.
Ein weiterer war da noch der traditionell als erster vergebene Preis an die großartige Da’Vine Joy Randolph für The Holdovers. Mit Ansage aber sie ist einfach eine Wucht. Zu den zwei größten Überraschungen zählte, dass die Academy Der Junge und der Reiher von Hayao Miyazaki den Vorzug gegenüber Spider-Man: Across the Spider-Verse gab. Dann war da noch ein zweiter Oscar für The Zone of Interest für den Besten Ton. Jeder, der den Film gesehen hat, weiß, was die Tonspur in Jonathan Glazers Film für eine bemerkenswerte Rolle spielt.
Das Filmjahr
Wie eingangs erwähnt, war 2023 neuerlich ein gutes Filmjahr und wie immer dauert es bis weit ins Jahr hinein, bis man sich davon ein Bild machen kann. Da wären die Festivals im Winter und im Frühjahr, deren Filme so gut wie immer erst im Herbst bei uns anlaufen. Dazu komprimiert sich das Jahr ohnehin im letzten Viertel, wenn es in die heiße Phase um diverse Filmpreise geht.
Wieder hatte die Viennale ein starkes Programm anzubieten und wieder gingen für mich zahlreiche Filme entweder mangels Übersicht unter oder es war aufgrund der Programmierung nicht möglich alle einzuplanen. Das ist wie immer schade. Wenigstens sind es Filme, die in den folgenden Monaten dank Verleih regulär ins Kinoprogramm aufgenommen wurden.
Tiefgründige Filme von Celine Song, die mit Past Lives einen richtigen Publikumsliebling über das Thema Migration geschaffen hat (siehe auch Return to Seoul von Davy Chou aus dem Jahr 2022), Wim Wenders, Christian Petzold und Jonathan Glazer prägten das vergangene Jahr. Ebenso wie der Marketingcoup Barbenheimer, der den Kinos gut gefüllte Säle bescherte. Mit The Holdovers von Alexander Payne kam verspätete aber doch ein zukünftiger Weihnachtsklassiker in die Kinos.
Yannick von Quentin Dupieux war der unterhaltsame Höhepunkt des Jahres und Abschlussfilm der Viennale 2023 (Zu sehen bei Mubi). Mit Dungeons and Dragons: Ehre unter Dieben könnte ein sympathisches Franchise gestartet sein. Fortsetzung wahrscheinlich.
Die Bestenliste 2023. Wie immer gilt bei THE REEL THERAPIST alles ab einer 4 ★ Bewertung als Empfehlung. Anschließend sind sämtliche Filme aus dem Produktionsjahr 2023 aufgelistet, die ich in dieser Saison gesehen habe. Es sind 53 Filme. Oft stellt sich mir bei Bestenlisten die Frage, aus welchem Grund der ein oder andere Film nicht vertreten ist. So lässt sich die Auswahl besser einordnen.
Die besten Filme 2023
★★★★★
Killers of the Flower Moon (Apple TV)
Mars Express
Past Lives – In einem anderen Leben (Amazon Prime/Apple TV €)
Perfect Days (Mubi)
Spider-Man: Across the Spider-Verse
Yannick (Mubi)
★★★★ ½
All of us Strangers
La Chimera
Die Kairo Verschwörung (Amazon Prime/Apple TV €)
Kuru Otlar Üstüne
Maestro (Netflix)
★★★★
Air: Der große Wurf (Amazon Prime)
American Fiction (Amazon Prime)
Anatomie eines Falles (Amazon Prime/Apple TV €)
Dream Scenario
Dungeons and Dragons: Ehre unter Dieben (Paramount+)
El Conte (Netflix)
Ein Glücksfall
How To Have Sex (Amazon Prime/Apple TV €)
Monster (Kaibutsu)
Der Killer (Netflix)
The Lost King (Amazon Prime/Apple TV €)
Nyad (Netflix)
Oppenheimer (Amazon Prime/Apple TV €)
Poor Things (Disney+)
Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Robot Dreams (demnächst bei Apple TV)
Rustin (Netflix)
Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem (Paramount+)
Komplette Liste der gesehenen Filme mit Premiere im Jahr 2023
AIR | ALL OF US STRANGERS | AMERICAN FICTION | ANATOMIE EINES FALLS | BARBIE | BLACKBERRY | THE BOY AND THE HERON | THE CREATOR LA CHIMERA | DREAM SCENARIO | DUNGEONS AND DRAGONS: EHRE UNTER DIEBEN | EUROPA | FALLENDE BLÄTTER | FALCON LAKE | GELIEBTE KÖCHIN | EIN GLÜCKSFALL | A HAUNTING IN VENICE | THE HOLDOVERS | HOW TO HAVE SEX | L’IMMENSITA | INDIANA JONES UND DAS RAD DER ZEIT | KAIBUTSU | DIE KAIRO-VERSCHWÖRUNG | KILLERS OF THE FLOWER MOON | KURU OTLAR ÜSTÜNE | DAS LEHRERZIMMER | THE LOST KING | MARS EXPRESS | MAY DECEMBER | NAPOLEON | MIRACULOUS – LADYBUG AND CAT NOIR | MISSION: IMPOSSIBLE – DEAD RECKONING PART 1 | NIMONA | THE OLD OAK | |OPPENHEIMER | PASSAGES | PAST LIVES | PERFECT DAYS | POOR THINGS | PRISCILLA | RICKERL: MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY | ROBOT DREAMS | ROTER HIMMEL | RUSTIN | SHE CAME TO ME | SIMPLE COMME SYLVAIN | IL SOL DELL’AVVENIRE | SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE | STELLA. EIN LEBEN | TENAGE MUTANT NINJA TURTLES: MUTANT MAYHEM | DIE THEORIE VON ALLEM | WALD | WONKA | YANNICK | THE ZONE OF INTEREST
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