Das Warten hat ein Ende. Produktionsverzögerungen und die Pandemie ließen gut 2 Jahre verstreichen. Mit Keine Zeit zu Sterben geht nun die fünfzehn Jahre und fünf Filme andauernde Ära von Daniel Craig als James Bond-Darsteller zu Ende. Keiner der legendären Vorgänger hat den Charakter so für sich vereinnahmt und derart geprägt wie Craig. Sowohl in der Charakterentwicklung des Agenten als auch hinsichtlich des antiquierten Frauenbildes ist das Autorenduo Purvis & Wade völlig neue Wege gegangen. Das Publikum hat es dem Produktionsteam gedankt. Der enorme Erfolg (Mit Skyfall spielte erstmals ein Film der Reihe mehr als eine Milliarde Dollar ein) hat Daniel Craig zum mit Abstand bestbezahlten Schauspieler aller Zeiten gemacht. Es ist ein langer und für die Serie ungewöhnlich emotionaler Abschied geworden.
Darum geht es
Wie alle Filme seit Ein Quantum Trost (2008) schließt auch Keine Zeit zu Sterben nahtlos an seinen Vorgänger an. James Bond (Daniel Craig) ist mit Madeleine Swann (Léa Seydoux), der Tochter von Quantum Anführer Mr. White (Er nahm sich in einer Hütte am Altausseer See das Leben), in Italien untergetaucht. Die Vergangenheit holt den Agenten aber bald wieder in die Realität zurück. Bond ließ Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz) am Ende von Spectre (2015) am Leben. Der delegiert seine Handlanger nun vom Hochsicherheitstrakt aus und die kommen Bond gefährlich nahe. Dann ist da auch noch Lyutsifer Safin (Rami Malek), der den Tod seiner Eltern rächen möchte und nebenbei die Weltherrschaft an sich reißen will.
Felix Leiter (Jeffrey Wright) heuert seinen alten Freund Bond an, um mit ihm und dem CIA den gekidnappten MI6 Wissenschaftler Valdo Obruchev (David Dencig) ausfindig zu machen. Wieder einmal steht das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Dass es dabei selbst für James Bond persönlich um viel geht, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht.
Kommentar
Eigentlich hätte der leider sehr schwache Spectre den Abschied für Daniel Craig bedeuten sollen. Sehr eindringlich machte Craig damals klar, nicht mehr für die Rolle zur Verfügung zu stehen. Aber: Sag niemals nie. Sean Connery wusste, wovon die Rede ist. Was solls, die Rolle bleibt ohnehin mit einem jeden Schauspieler bis an sein Lebensende verbunden.
Was das Autorenteam Purvis &Wade und Cary Joji Fukunaga unter Zuhilfenahme von Phoebe Waller-Bridge da nun auf die Leinwand gebracht haben, sucht seines Gleichen. Noch nie wurde eine etablierte und erfolgreiche Marke derart dekonstruiert. Viele aus dem jüngeren Publikum heute kennen die meisten der 24 Filme der vergangenen sage und schreibe 59 Jahre nicht mehr (plus 2: Sowohl Casino Royal von 1962 als auch Sag niemals nie, 1983, zählen offiziell nicht dazu). Für James Bond-Fans dürfte Keine Zeit zu Sterben allerdings ein gewisser Schock sein. Von vielem, was die Serie charakterisierte hat man sich in den letzten Filmen zusehends verabschiedet. Bereits bei ihrem ersten Auftritt als M in Goldeneye im Jahr 2005 nannte Judy Dench den Agenten „A sexist, misogynist dinosaur. A relic of the Cold War.“
Mit Daniel Craig in Casino Royal elf Jahre später waren die legendären Bondgirls, die als bloßer optischer Aufputz dienten, Geschichte. Craig lief ständig mit schrammen im Gesicht herum, wurde gefeuert und offiziell für tot erklärt. Die letzten Jahre waren nicht leicht für den berühmtesten aller Geheimagenten. Herumschwirrende Kugeln konnten ihm immer noch nichts anhaben aber unter der Haut war er verletzlich geworden. Mit Vesper Lynd (Eva Green) erhielt Craigs Bond gleich zu Beginn eine Partnerin, die mehr als eine flüchtige Affäre war. Wie schon Diana Rigg als Teresa in Im Geheimdienst ihrer Majestät (mit George Lanzenby), die Bond ehelichte und Blofeld wenige Stunden später ermordete. Nun gibt es genau auf diesen Film in Keine Zeit zu Sterben zahlreiche Verweise, wie den Aston Martin und die unvergessliche Nummer We have all the time in the world von Louis Armstrong. Selbst mit der Filmmusik verließ man bekanntes Terrain. Hans Zimmer webt zwar geschickt zahlreiche klassische Bond Motive in seinen Score ein. Darüber hinaus weicht die Musik aber stark vom Gewohnten ab.
„007 is only a number.“
Keine Zeit zu Sterben (2021)
Neben Im Geheimdienst ihrer Majestät gab es noch einen zweiten Film, der sich mit dem Charakter und der Vergangenheit von Bond auseinandersetzte: Skyfall, im 50. Jubiläumsjahr 2012. Der gleichnamige Familiensitz war Ort eines Traumas. Hier wurde Bond zum Waisen und hier starb auch M, gespielt von Judy Dench. Rückblickend wurde damals klar, dass M nur ein Buchstabe ist. Dench wurde durch Ralph Fiennes ersetzt. Jetzt ist es die Agentin Nomi (Lashana Lynch), die vorübergehend als 007 agiert.
In Keine Zeit zu Sterben dominieren die dialoglastigen ruhigen Momente. Es gibt aber immer noch genug Raum für Stunts und Action (leider führte, wie so oft in den letzten Jahren, ein weiteres Mal mit Fukunaga jemand Regie, der mit dem Action Genre nicht sehr vertraut ist). Der Charakter wirkt jedoch losgelöst vom Agentendasein. Selbst Shaken, not stirred ist vergessen. Mehr sei hier nicht verraten.
Die große Frage, die sich stellt: wie geht es von hier aus weiter? Unverkennbar hat man mit Mission: Impossible Anleihen an einem anderen maßgeblichen Franchise genommen. Mit Q (Ben Whishaw), M , Ms. Moneypenny (Naomi Harris) und Nomi greifen weitere Charaktere aktiv ins Geschehen ein. Ana de Armas assistiert Bond auf Blofeld Geburtstagsfeier als CIA Agentin und löste mit ihrem kurzen Auftritt nicht nur in den Sozialen Medien eine Welle der Euphorie aus. Bond ist hier kein Einzelgänger mehr.
Die Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson werden sich die Frage stellen müssen, was die Alleinstellungsmerkmale von James Bond nun sind. Eines scheint klar: nach Keine Zeit zu sterben steht ein radikaler Neustart an. Gut möglich, dass dies mehr als das Ende für Daniel Craig bedeutet und uns ein neuer Bond für eine neue Generation erwartet. Für diesen Abschied hat die Marke James-Bond-007 jedenfalls einen hohen Preis bezahlt.
Keine Zeit zu sterben (OT: No time to die)
Agententhriller, GB 2021
Regie Cary Joji Fukunaga
Drehbuch Purvis & Wade, Cary Fukunaga, Phoebe Waller-Bridge
Kamera Linus Sandgren
Schnitt Eliott Graham, Tom Gross
Musik Hans Zimmer
Mit Daniel Craig, Léa Seydoux, Ralph Fiennes, Ben Whishaw, Naomi Harris, Jeffrey Wright, Christoph Waltz, Rami Malek, Ana de Armas
Länge 163 Minuten
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