Spät aber doch. Das trifft wohl in den nächsten Monaten auf jeden Kinostart zu. So auch auf Über die Unendlichkeit, für den der schwedische Regisseur Roy Andersson bereits im vergangenen Jahr den Silbernen Löwen in Venedig gewonnen hat. Andersson ist für seine statischen gemäldeartigen Tableaus bekannt. Handlung gibt es keine. Dialoge sind ebenso rar. Das klingt gewöhnungsbedürftig. Dabei sind die einzelnen Szenen von einer wunderbaren Traurigkeit und Schönheit. Ein magischer Kinomoment.
Darum geht es
„Ich habe einen Mann gesehen … “ Eine weibliche Erzählstimme leitet fast jede der eigenständigen Szenen ein. Begleitet von elegischer Musik sind die Sequenzen in Grautönen gehalten. Ein schlecht gelaunter Zahnarzt, ein Pfarrer, der seinen Glauben verloren hat oder einer Frau mit Kinderwagen, der in einer Bahnhofshalle der Stöckel ihres Schuhs abbricht: Andersson zeigt uns Banalitäten, die im Kino zu großen Tragödien werden, mal traurig, mal komisch aber immer mit einer gewissen Melancholie behaftet.
Kommentar
Totale Einstellungen, gestochen scharf bis zum Horizont. Alles liegt hier im Fokus. Darin Menschen, die offensichtlich platziert zu sein scheinen. Die Dialoge fallen eher knapp aus. Roy Anderssons lässt sich von bildender Kunst inspirieren, zum Beispiel von Edward Hopper. Die Bilder sind bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Die Sets werden in mühsamer Kleinarbeit im Studio konstruiert und mittels Greenbox zusammengefügt.
Anderson entwickelte seinen unverkennbaren Stil in Anlehnung an den schwedische Funktionalismus der 1950er Jahre über Jahrzehnte in kurzen Werbefilmen. Erst Anfang des letzten Jahrzehnts widmete er sich wieder dem Spielfilm und ist seitdem gern gesehener Festivalgast. Die Themen kreisen um Religion, Krieg und die Entfremdung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Menschen wirken in dieser grauen Welt oft deplatziert und sind mit ihren Gedanken ganz woanders. Spannenderweise ist diese arg artifizielle Welt zutiefst menschlich. Wirklich Neues hat Über die Unendlichkeit in dieser Hinsicht nicht zu bieten. Trotzdem vermag uns Andersson immer noch zu verzaubern. Knappe 76 Minuten über die Unendlichkeit der Dinge, die eine Freude sind.
The Living Paintings of Roy Andersson – Ein Blick hinter die Kulissen
ÜBER DIE UNENDLICHKEIT (Om det oändliga) | ROY ANDERSON | SWE 2019 | 76 MIN. |
AKTUELLE BEITRÄGE VON THE REEL THERAPIST
- „LOVE LIES BLEEDING“ Filmkritik: Famoses Drama von Liebe und Gewalt aus queerer Sicht im New Mexico des Jahres 1989.
- „A KILLER ROMANCE“ Filmkritik: Spaßige Sommerkomödie mit Nostalgiefaktor und einem neuen Star
- „CHALLENGERS“ Filmkritik: Matchpoint für Zendaya & Co
- „CIVIL WAR“ Filmkritik: Ein Blick in eine dystopische Zukunft der USA
- DIE BESTEN FILME 2023 (Oscars 2024)
2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Aktuelles Amazon Disney Feature Filme Filmfestival Filmkitik Filmkritik Kino aus Österreich Kommentar Netflix Oscar Radar Oscars Review Streaming Viennale Vorschau