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Um ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten, kommt die Journalistin Marian (Brigitte Hobmeier) nach Jahrzehnten zurück in das verlassene Haus der Eltern im Waldviertel. Kein Strom, das Wasser tropft von der Decke, die Luft riecht modrig. Der Ort ist regelrecht abgeschnitten von der Außenwelt, kein Bus fährt hier her. Auto hat Marian keines. Sie sucht Zuflucht in der Natur. Menschenansammlungen sind ihr unangenehm. Schon ein Supermarktbesuch löst eine Panikattacke aus. Es ist eine Reise zurück in ihre Kindheit. Die Bewohner reagieren abweisend. Sie trifft auf ihre Jugendfreunde Gerti (Gerti Drassl) und Franz (Johannes Krisch) und dabei kommen alte Konflikte an die Oberfläche, auch weil sie einfach gegangen ist. Wer bleibt schon gern beim gewalttätigen Vater und der dementen Mutter buchstäblich am Ende der Welt zurück, so wie Gerti. Elisabeth Scharang hat sich von Doris Knechts Roman WALD inspirieren lassen und ihn mit ihren eigenen Erlebnissen während des Terroranschlags in Wien im November 2020 verknüpft.

Brigitte Hobmeier und Gerti Drassl sitzen auf einer Holzbank vor einem alten Bauernhaus. Der Verputz ist abgebröckelt. Hobmeier raucht und schaut in die Landschaft. Drassl blickt zu ihr. Es ist herbstlich kalt.
Brigitte Hobmeier und Gerti Drassl in WALD von Elisabeth Scharang (A 2023)

Kurzkritik

Vor ein paar Jahren hat die World Press Photo Foundation eine Fotostrecke ausgezeichnet, die zwei Kinder aus dem Waldviertel porträtierte. Die Bildbeschreibung mutete regelrecht exotisch an. Für die wenigsten wird vorstellbar sein, dass es so eine abgelegene Region im Herzen Europas überhaupt geben kann. Da kann es schon vorkommen, dass es keinen Handyempfang gibt. Die Infrastruktur ist grundsätzlich nicht die beste. In dieser dünn besiedelten Region im Norden Ostösterreichs dauern die Winter länger und natürlich färbt eine Landschaft immer auf die dort lebenden Menschen ab. Das bekommt auch Marian zu spüren. Was schnell als stereotype Darstellung von aggressiven Bauern abgetan wird, ist also nicht grundsätzlich an den Haaren herbeigezogen.

Die Frage ist vielmehr, ob dem in aller Tiefe in kompakten 95 Minuten ausreichend Raum gegeben werden kann. Der Konflikt von Marian im Zentrum, die aus einer nicht selbst verschuldeten Situation in diese Lage geraten ist, wird noch einmal mit ihrer Vergangenheit verwoben. In diesem Moment kommen unweigerlich weitere Charaktere ins Spiel. Neben Franz und Gerti auch noch ihr Mann Gheorghe (Bogdan Dumitrache). Weitere Bewohner des Dorfes fallen vor allem durch ihre ablehnende Haltung dem Eindringling gegenüber auf. Diese Konflikte werden bestenfalls angerissen. Das größte Drama von WALD ist dann auf einmal nicht mehr der innere Konflikt Marians, sondern passiert in der Familie von Gerti. Das öffnet nicht nur einen neuen Handlungsstrang, sondern führt vor allem weg von der Protagonistin. Dafür fehlt die Zeit.

Die raue Wald- und Winterlandschaft wurde von Jörg Widmer (siehe auch Ein verborgenes Leben) in Szene gesetzt. Im Vorfeld erinnerte mich WALD an Debra Graniks LEAVE NO TRACE (Link). Auch hier diente die Natur als Rückzugsort und spielte dabei selbst eine große Rolle. Bei Granik ist das unmittelbare Naturerlebnis allerdings viel intensiver. Nicht zuletzt auch wegen der atmosphärischen Tonspur. Die bemerkenswerte Musik in WALD stammt von der polnischen Musikerin Hania Rani.

Marian kämpft sich einen Winter durch ihr Trauma, in einer Lebenssituation, in der vor allem Willensstärke zählt. Von großartigen SchauspielerInnen unterstützt, wird vor allem Brigitte Hobmeier in Erinnerung bleiben. Sie geht im kalten Wasser baden, schreit ihre Wut und Verzweiflung in den Wald hinein und ringt darum, dass ihr Leben nicht aus dem Gleichgewicht gerät.

Wald
Drama, A 2023

Regie Elisabeth Scharang
Drehbuch Elisabeth Scharang
Kamera Jörg Widmer
Schnitt Alarich Lenz
Musik Hania Rani
Mit Brigitte Hobmeier, Gerti Drassl, Johannes Krisch
Länge 95 Minuten
Im Kino


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