Der Goldene Handschuh

Jene, die vor ein paar Jahren den Roman von Heinz Strunk gelesen haben, der diesem Film zu Grunde liegt, erinnern sich jetzt mit Grauen zurück. Eigentlich möchte niemand die expliziten Gewaltdarstellungen von Der goldene Handschuh auf der großen Leinwand sehen. Nun hat Fatih Akin das Porträt des Serienmörders Fritz Honka, der in den 1970er Jahren St. Pauli unsicher gemacht hat, verfilmt und sagt selbst: für jeden ist der Film nicht geeignet. Auch wenn an dieser Stelle keine uneingeschränkte Empfehlung kommen kann, ganz links liegen lassen kann man diese gleichsam beeindruckende wie bedrückende Milieustudie nicht.

Die Fakten: Fritz Honka ermordete von 1970 bis 1974 vier Frauen, die dem Milieu seiner Nachbarschaft rund um die Kneipe „Zum Goldene Handschuh“ in der Nähe der Reeperbahn entstammten. Meist im hoch alkoholisierten Zustand missbrauchte und zerstückelte Honka seine Opfer und versteckte die Körperteile in seiner Wohnung. Alle Opfer waren Obdachlose, die sich zeitweise als Prostituierte ihr Leben verdingten. Da sie niemand vermisste, konnte Honka seine sexuellen Obsessionen über Jahre ausleben.

Der Film konzentriert sich genau auf diese vier Jahre. Über die Vergangenheit von Honka erfährt man nichts. Auch nicht, dass Honkas Entstellungen im Gesicht auf Arbeitsunfälle zurückzuführen sind. Akin geht es nicht um Erklärungen, sondern darum zu zeigen, das Sexualverbrechen einfach nur grauslich sind und keinerlei Befriedigung für den Täter mit sich bringen. Darum rekonstruiert er nicht nur die Verbrechen penibel genau, sondern genauso Honkas Wohnung mit Pin-ups und Kinderpuppen und das Leben im Goldenen Handschuh, dem Wohnzimmer gescheiterter Existenzen.

Der Goldene Handschuh
Margarethe Tiesel und Jonas Dassler beim 5 o’Clock Korn

Gleich zu Beginn wird das Publikum auf die Probe gestellt, als Honka sein erstes Opfer minutenlang zerstückelt. Man sieht nichts aber das von der Säge verursachte Geräusch ist sogar dem Täter zuwider. Er legt eine Platte auf. Wer nun glaubt, Der Goldene Handschuh hantelt sich von einer brutalen Tat zur nächsten, der irrt. Splatterfilm ist es keiner. Angewidert und schockiert ist man vielmehr von der Gesamtsituation, in der sich Honka und die anderen Charaktere befinden. Es ist eine Tristesse in Brauntönen, in der es keine Träume mehr gibt. Nur immer die nächste Flasche Korn.

Im Goldenen Handschuh treffen Trinker, Obdachlose, Nazis und Touristen aufeinander. Die Fenster sind verdunkelt, die Rauchschwaden sind dicht und aus der Jukebox kommen Schnulzen, die manche zu Tränen rühren. Hier trifft Honka auf die meisten seiner Opfer. Es sind verwahrloste Frauen, die ihm im alkoholisierten Zustand in seine Wohnung folgen und sich sexuell erniedrigen lassen. Honkas Frauenhass ist vermutlich auch im eigenen Unvermögen begründet aufgrund seines Aussehens und seiner Alkoholsucht zu keinen sozialen Kontakten fähig zu sein. Alleine diese Erklärung greift aber zu kurz. Selbst Fatih Akin tappt in die Falle, den Alkohol als wesentliche Ursache für die Verbrechen zu sehen.

Honkas Wohnung ist mit Duftbäumen verhängt. Nutzen tun sie nichts. Der Gestank muss unerträglich gewesen sein. Mit Der Goldene Handschuh befinden wir uns knietief im Grind. Jonas Dassler liefert eine überzeugende Darstellung Honkas. Seine Co-Stars, allen voran Margarethe Tiesel, beeindrucken mit einem körperlichen Grenzgang. Als Zuseher wird man regelrecht in die Szenerie hineingesaugt. Es ist so richtig deprimierend. Die Atmosphäre, die Akin nicht zuletzt mittels des grandiosen Soundtracks zu erzeugen vermag sucht ihresgleichen. Gerade das macht den Film so sehenswert. Man sollte sich für danach aber nichts vornehmen.

FATIH AKIN | D 2019 | 110 Min | 3.5 out of 5 stars

Foto © Warner Bros.


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