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Schon während der Dreharbeiten zu seinem Film Die Nile Hilton Affäre (Viennale 2017), wurde dem schwedischen Regisseur Tarik Saleh in Ägypten die Dreherlaubnis entzogen und die Produktion musste nach Marokko ausweichen. Ging es damals um Korruption im Polizeiapparat in den letzten Tagen des Mubarak Regimes, so ist sein neuer Film nicht weniger brisant. Hinter den dicken Mauern der Azhar Universität in Kairo tobt nicht nur ein Machtkampf zwischen den unterschiedlichen islamischen Strömungen, sondern darüber hinaus möchte das Regime von Präsident Abd al-Fattah as-Sisi seinen Einfluss geltend machen und kratzt dabei am Ruhm der renommierten Universität. In Cannes 2022 mit dem Preis für das Beste Drehbuch ausgezeichnet, ist Die Kairo-Verschwörung nun mit großer Verspätung auch bei uns im Kino angelaufen.

Darum geht es

Adam (Tawfeek Barhom), der Sohn eines Fischers, bekommt ein Stipendium für die Azhar Universität in Kairo. Als der Großimam der Universität stirbt, entbrennt um dessen Nachfolge ein Machtkampf zwischen den einzelnen islamischen Strömungen und der politischen Führung im Land. Colonel Ibrahim (Fares Fares) wird von der Staatssicherheit eingesetzt, um die Interessen von Präsident as-Sisi geltend zu machen. Er rekrutiert Adam als Informanten. Dann wird ein Student ermordet. Ibrahim weiß nicht mehr wem er vertrauen kann, da jeder Student ein potentieller Spitzel sein könnte. Colonel Ibrahim wird mit der Aufklärung des Mordes beauftragt. Die Lage spitzt sich zu, als ein blinder Scheich ein Geständnis ablegen möchte und dadurch möglicherweise gefährlich für das Regime werden könnte. Während die Lage in der Universität beklemmender und paranoider wird, gerät Adam immer mehr zwischen die Fronten.

Kommentar

Tarik Saleh hat aus mehreren Gründen mit Die Kairo Verschwörung einen mutigen Film gemacht. Seit der Machtübernahme von as-Sisi steht die Azar Universität unter Druck. Schon mehrmals hat der Präsident über die Köpfe der Gelehrten hinweg in die Studienpläne eingegriffen. Das hat dem Ruf der Universität geschadet, die sich damit rühmt, dem ganzen Spektrum islamischer Strömungen Platz zu bieten. Während die Geschichte um Adam frei erfunden ist, so entspricht das Spiel der Kräfte, zwischen die der Student gerät, doch der derzeitigen Realität. Der Regierungsapparat ist auch hier brutal und korrupt bis auf die Knochen. Der Regisseur ist in Ägypten nach wie vor eine persona non grata.

Saleh läßt aber insgesamt kein gutes Haar an den Gelehrten und an den Studenten der Universität. Für ihn ist dies kein Platz der geistigen Ertüchtigung, sondern ein allein von Ideologie und Politik getriebener und von Intrigen geplagter Ort. Hier gibt es keine sympathische Identifikationsfigur, weder Adam, noch Ibrahim taugen dazu.. Saleh bringt Adam in eine Situation, in der es keine Möglichkeit gibt, unter all der Einschüchterung das moralisch Richtige zu tun. Aber trotzdem können wir mit ihm mitfiebern. Bei Ibrahim (Fares Fares ist großartig als undurchsichtiger Beamter) blitzt nur hin und wieder ein Funke von Humanität und Empathie auf. Er bleibt aber tief im autoritären und folternden Staatsapparat verhaftet. Das sind nicht die besten Vorraussetzungen für einen erfolgreichen Film, wie vermutlich jeder Drehbuchguru anmerken würde.

Hinzu kommt, dass es etwas dauert, bis man sich als Zuseher in die Welt der Azhar eingewöhnt hat. Im Grunde ist uns das alles völlig fremd. Die hier wirkenden Dynamiken erschließen sich nur nach und nach. Es ist dem perfekt getimten Drehbuch von Saleh zu verdanken, dass wir trotzdem dranbleiben, bis sich die Spannung im Finale immer mehr verdichtet. Dabei gibt es kaum Gewaltausbrüche. Kaum jemand wird je laut. Die Konflikte spielen sich auf einer unerträglich ruhigen, um nicht zu sagen besonnenen, Ebene ab. Hinter jedem Charakter steckt ein übermächtiger Akteur, seien es der Staat oder die Muslimbrüderschaft, sodass mehr nicht notwenig ist. Es ist eine Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens und der Paranoia.

Die Kairo Verschwörung bietet nicht nur spannende Unterhaltung mit einer bemerkenswerten Besetzung, sondern gibt uns einen Einblick in eine Welt, die wir so nicht kennen und die so im Kino auch noch nicht zu sehen war.


Die Nile Hilton Affäre von Tarik Saleh (ebenfalls mit Fares Fares), ist derzeit bei Mubi verfügbar.


DIE KAIRO VERSCHWÖRUNG (OT: Cairo Conspiracy/Walad Min Al Janna)
Drama (SWE/FR/FIN/DEN, 2022)
Regie Tarik Seleh
Drehbuch Tarik Saleh
Kamera Pierre Aïm
Schnitt Theis Schmidt
Musik Kristen Linder
Mit Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri,
Länge 126 Min.
Im Kino


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