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Wenn Deutschland mit der Netflix Produktion einer sehr freien Adaptierung des Klassikers Im Westen nichts Neues ins Oscar Rennen geht (und dabei gar nicht mal so schlechte Chancen auf eine Nominierung hat), dann ist es für viele der erste Berührungspunkt mit einem Antikriegsfilm. Der Streamingdienst macht es möglich andere Zusehergruppen zu erreichen als es bei einer Kinoproduktion der Fall wäre. Drastische Bilder voll Brutalität sind fixer Bestandteil des Genres geworden und man ist sich mehr oder weniger einig, dass der Film natürlich zu rechten Zeit gekommen ist. Über die sehr freie Umsetzung von Regisseur Edward Berger gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Darum geht es

Es ist die dritte Verfilmung des von Erich Maria Remarque verfassten Antikriegsromanes aus dem Jahr 1928. Darin werden die Erlebnisse des jungen Paul Bäumer (Felix Kammerer) an der Westfront ab 1917 geschildert. Aufgestachelt von ihrem Lehrer meldete sich eine Gruppe von jungen Männern freiwillig zum Kriegsdienst. Schon auf dem beschwerlichen Marsch durch das Hinterland zur Front stellt sich Ernüchterung ein.

Von General Friedrich (Devid Striesow) werden die Soldaten kommandiert, der um jeden Preis Meter machen möchte, obwohl die Situation fast chancenlos ist. Tatsächlich hatte sich die Westfront über die Jahre kaum mehr als ein paar hundert Meter bewegt. In den Schützengräben fanden Hunderttausende den Tod. Die Spuren des exzessiven Kampfes sind bis heute, mehr als hundert Jahre später, immer noch zu sehen.

Im Westen nichts Neues bewegt sich fortan zwischen Schützengräben und verlassenen französischen Bauernhöfen, in den die Soldaten kurz zur Ruhe kommen können. Die Version von Regisseur Edward Berger entfernt sich allerdings von der Romanvorlage, streicht ganze Passagen und fügt neue hinzu, wie die der historischen Figur Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der mit den französischen Marshall Foch (Thibault de Montalembert) den Friedensvertrag ausverhandelte. General Friedrich passt das ganz und gar nicht und schickt die Soldaten bis zuletzt in einen sinnlosen Grabenkampf.

Chaos und Vernichtung in IM WESTEN NICHTS NEUES (Edward Berger, 2022)

Kommentar

Es ist ein echter Jammer. Wenn sich zu Beginn der Nebel über die winterliche Landschaft legt, kann einen schon das Frösteln kommen. Wenn man im Kino sitzen würde. Ja, wenn. Da Im Westen nichts Neues von Netflix vertrieben wird, sind Kinoaufführungen sehr rar. So fristet das Kriegsdrama sein Dasein auf Laptopbildschirmen (man glaubt gar nicht, wie wenige Menschen heute noch einen Fernseher haben). Noch dazu ist es gerade über einen so langen Zeitraum von 2 1/2 Stunden eine Herausforderung jeglicher Ablenkung zu widerstehen.

Aber so ist das jetzt nunmal. Die erste Sequenz ist zugleich die Stärkste: Gefallenen Soldaten werden die Uniformen ausgezogen und in großen Bündeln nach Deutschland gebracht, gereinigt, Einschusslöcher geflickt und dem nächsten Schwung an Rekruten ausgehändigt. Die wundern sich über das falsche Namensschild. Besser kann man den Irrsinn der Kriegsmaschinerie kaum darstellen. Es wird auch einer der wenigen Bezüge zur damaligen Zeit bleiben. Regisseur Berger bleibt fortan im Kriegsgeschehen. Einen Heimurlaub wie im Roman gibt es nicht. Einzig die Verhandlungen über einen Waffenstillstand stellen einen historischen Bezug her.

Dass sich die Verfilmung gar weit von der Romanvorlage entfernt, hat viele gestört. Dazu muss am aber das erst einmal Buch kennen und daher soll uns das nicht wieder kümmern. Es ist ein für deutsche Verhältnisse schon ganz beachtliches Projekt, dass den Vergleich mit US-Produktionen nicht zu scheuen braucht. Auch wenn die technischer Finesse von Dunkirk oder 1917 nicht erreicht wird. Bildgewaltig ist das deutsche Kriegsepos allemal. Vor allem die Szenen im Schützengraben sind beklemmend. Der Lärm und die Unübersichtlichkeit in den feuchten Erdlöchern wird durch die drastischen Aufnahmen erlebbar und zum intensiven Erlebnis.

Am Ende wird etwas dick aufgetragen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es beim Publikum ganz gut ankommen wird. Irgendwie möchte man nach 140 Minuten doch noch was geboten bekommen. Davor mehr als zwei Stunden Tod und Verderben in Schlamm und Regen. Es waren unvorstellbare Bedingungen, unter denen die Soldaten kämpfen mussten. Das vermittelt Im Westen nichts Neues ganz eindringlich.

Der Hauptdarsteller Felix Kammerer ist Ensemblemitglied im Wiener Burgtheater und kann dort auch auf der Bühne erlebt werden.


IM WESTEN NICHTS NEUES
Drama, D/USA/GB 2022

Regie Edward Berger
Drehbuch Lesley Paterson, Edward Berger, Ian Stokell
Kamera James Friend
Schnitt Sven Budelmann
Musik Volker Bertelmanm
Mit Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aron Hilmer, Daniel Brühl, Devid Striesow, ua.
Länge 148 Min.
Streamingplattform
Netflix


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