Viennale 2017

Tag fünf von zehn ist um. Die Viennale 2021 stellt mich vor eine harte Probe. Ist es die Filmauswahl? Aber warum sprechen attraktive Gäste vor leeren Reihen und sind vorprogrammierte Publikumslieblinge bei weitem nicht ausverkauft? Der Überraschungsfilm stimmte versöhnlich. Bisher acht Spielfilme und eine Dokumentation. Für ein abschliessendes Resümee warte ich noch die letzten Tage ab. Ein kurzer Überblick.

L‘ EvŽnement, Das Ereignis, Audrey Diwan, Frankreich 2021, V’21 Features

L‘ Evénement (OT: Das Ereignis, Audrey Diwan, F 2021)

Ich habe die Krankheit, die nur Frauen bekommen können und sie zu Hausfrauen macht, sagt die Protagonistin einmal zu ihrem Uniprofessor. Da Abtreibung im Frankreich der 1960er Jahre illegal ist, muss sich die junge Frau in Lebensgefahr begeben und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ein Film als Tortur – und am Puls der Zeit, mit einer grandiosen Anamaria Vartolomei in der Hauptrolle. Audrey Diwan wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet..

The Storms of Jeremy Thomas, Mark Cousins, USA 2021, V’21 Features

The Storms of Jeremy Thomas (Mark Cousins, GB 2021)

1988 bedankte sich Jeremy Thomas bei 30.000 Mitwirkenden mit dem Oscar für Der Letzte Kaiser in den Händen. Für diese Dokumentation begleitete Mark Cousins den britischen Produzenten auf seiner alljährlichen Autofahrt von Großbritannien zu den Filmfestspielen in Cannes. „Only 2 good Smartphones and a brain“ waren notwendig, so Thomas beim Q&A im Anschluss an das Viennale Screening. Thomas zeichnet unter anderem für zahlreiche Filme von Bertolucci, Cronenberg und Roeg verantwortlich. Cousins hat nicht bloß einen Film über jemanden gemacht, sondern dabei ein eigenes Kunstwerk erschaffen. In mehreren Kapiteln, wie Autos, Sex und Tod, montiert er pointiert Bilder des Roadtrips mit zahlreichen Filmausschnitten. Inspirierend.

A Chiara, Jonas Carpignano, Italien/Frankreich 2021, V’21 Features

A Chiara (Jonas Caprignano, I/F 2021)

Im kaum 20.000 Einwohner zählenden kalabrischen Kaff findet eine Familienfeier statt. Chiaras ältere Schwester feiert ihren 18. Geburtstag. Der ganze Clan ist versammelt. Jonas Caprignano lässt sich anfangs viel Zeit und lässt uns die Dynamiken innerhalb der Familie spüren. Doch in der gleichen Nacht sieht Chiara ihren geliebten Vater über das Dach des Nachbarhauses flüchten. Dann fliegt ihr Auto in die Luft. Hier, im Süden Italiens ist die ‚Ndrangheta zu Hause. Von einem Moment auf den anderen ist Chiaras Leben nicht mehr das Selbe. Bevor sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen wird, muss Chiara dem Familiengeheimnis auf die Spur gehen.

Vicky Krieps, Tim Roth, Bergman Island, Mia Hansen-Løve, 2021, V’21 Features

Bergman Island (Mia Hansen-Løve, F/D/BEL/SWE 2021)

Ein Paar (Vicky Krieps und Tim Roth) begibt sich auf Fårö um an seinen Drehbüchern zu schreiben. Der 2007 verstorbene Regisseur Ingmar Bergman ist auf der Insel allgegenwärtig. Zwangsläufig drehen sich die Gespräche um ihn und um Geschlechterrollen. Der legendäre Regisseur drehte über 50 Filme und hatte 9 Kinder. Für eine Frau eine wohl unmögliche Karriere. In der Mitte ihres Filmes springt Mia Hansen-Løve in das gerade im Entstehen begriffene Drehbuch der Frau. Ein Film im Film. Am Ende verknüpfen sich drei Handlungsebenen miteinander. Sehr meta.

Spencer, Pablo Larraín, Deutschland/Großbritannien 2021, V’21 Features

Spencer (Pablo Larraín, UK/USA/D/CHIL 2021)

Eine spannende Herangehensweise an den Mythos Prinzessin Diana hat Pablo Larraín gefunden. Er ist ganz nach dran an seiner Protagonistin und spart ihre Umgebung bis auf 2-3 Bezugspersonen weitestgehend aus. Die Abgründe der Königsfamilie faszinieren immer wieder. Großartige Musik von Jonny Greenwood. Kristen Stewart bewirbt sich hier eindringlich für eine Oscar-Nominierung. In weiteren Rollen glänzen Timothy Spall, Sean Harris und Sally Hawkins.

Ha’berech, Ahed’s Knee, Nadav Lapid, Frankreich/Deutschland/Israel 2021, V’21 Features

Ha’Berech (Nada Lapid, F/D/IL 2021)

In diesem Autobiographischen Werk prangert der Regisseur die Zensur in seinem Heimatland Israel an. Sein Hauptdarsteller, ebenfalls Regisseur, wird vom Ministerium in ein Dorf eingeladen, um seinen neuen Film vorzustellen. Vor seinem Auftritt, soll er in einem Formular ankreuzen, welche Themen er dabei ansprechen möchte. Ein wichtiges Thema, das von der Jury in Cannes honoriert wurde. Leider ist die Form allzu experimentell geraten. Viele Menschen wird der Film so nicht erreichen.

France, Bruno Dumont, Frankreich/Deutschland/Italien/Bahamas 2021, V’21 Features

France (Bruno Dumont, F/D/I/BHS 2021)

Bruno Dumont findet die Fernsehlandschaft verlogen. Das zeigt er in sehr langen 140 Minuten mit einer leidenden Léa Seydoux in der Hauptrolle. Sie betreibt eine Art von Journalismus, den es in Österreich nicht gibt: Boulevard gemischt mit internationaler Berichterstattung. Seydoux spielt eine Starjournalistin, die sich mit inszenierter Kriegsberichterstattung einen Namen gemacht hat. Durch einen Skandal fällt sie tief. Nebenbei plagen sie private Tragödien. Zu viel von allem und ein paar peinliche Ungenauigkeiten. Ich bin mir wie in einer Endlosschleife vorgekommen.

È stata la mano di Dio, Paolo Sorrentino, I 2021

Überraschungsfilm: È stata la mano di Dio (Die Hand Gottes, Paolo Sorrentino, I 2021)

Paolo Sorrentinos autobiographische Tragikomödie ist von der ersten Szene an unglaublich witzig. Im ausverkauften Gartenbaukino herrschte allerdings lange Stille. Bis zur ersten Pointe. Ab dann wurde gelacht. Es war interessant zu beobachten, wie ein Publikum mit einem Film umgeht, denn es Anfangs nicht einordnen kann. Darf man lachen oder ist es ernst gemeint?
È stata la mano di Dio erzählt von der Jugend des Regisseurs in Neapel, die von einem Ereignis geprägt war: einem Schicksalsschlag, bei dem Diego Maradona eine gewisse Rolle gespielt hat. So will es die Legende.
Was bekommen wir? Allerhand Skurrilitäten um eine neapolitanische Großfamilie. Eine Komödie, die sich zu einer coming-of-age Erzählung ausweitet und schließlich dramatische Züge annimmt. Aber auch hier findet der Regisseur nicht so recht zu einem Ende. Ein oder zwei Mal glaubt man den Schluss zu erahnen aber der Film breitet sich auf einer Länge von 130 Minuten aus.
Bei den Filmfestspielen von Venedig gewann Sorrentino den Silbernen Löwen (Großer Preis der Jury). 

Red Rocket, Sean Baker, USA 2021, V’21 Features

Red Rocket (Sean Baker, USA 2021)

Sean Baker schafft es, uns eine Geschichte über Menschen zu erzählen, die kaum weiter von unser aller Lebensrealität entfernt sein könnten, ohne über sie zu urteilen oder sie gar vorzuführen. Voll Empathie und einer geschickten Hand für Laiendarsteller läßt uns Baker ins tiefste Texas eintauchen, wo am Vorabend der Präsidentschaftswahlen 2016 die Protagonisten versuchen sich über die Runden zu schlagen. Der charismatische Hauptdarsteller Simon Rex spielt einen abgehalfterten Pornostar, der aus Los Angeles in seinen Heimatort zurückkehrt. Völlig mittellos gelingt es ihm, bei seiner Noch-Ehefrau und deren Mutter unterzukommen. Als er in einem Donut Laden die kurz vor ihrem 18. Geburtstag stehende Strawberry kennenlernt, glaubt er in ihr ungeahnte Talente zu erkennen und ein großes Geschäft. Eine sehr gelungene unterhaltsame Millieustudie.


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