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NAPOLEON USA/UK 2023 Regie Ridley Scott
Historienfilm Ab 12 Länge 158 Min.

Ludwig von Beethoven widmete seine 3. Sinfonie „Eroica“ ursprünglich Napoleon Bonaparte. Erst wollte er sie Napoleon persönlich in Paris präsentieren. Dann war er jedoch so verärgert, nachdem sich dieser 1804 selbst zum Kaiser krönte, dass er nachträglich die Widmung auf der Partitur entfernte. Über die Einordnung des Wirkens von Napoleon ist sich die Wissenschaft bis heute uneinig. Ridley Scotts orientiert sich in NAPOLEON leider nicht an den letzten Erkenntnissen von HistorikerInnen. Das ist aber noch nicht das einzige Problem seines neuesten Epos. Abgesehen von bemerkenswerten schauspielerischen Leistungen von Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby knüpft Ridley Scott mit NAPOLEON nicht an frühere Erfolge an.

Vanessa Kirby und Joaquim Phoenix in NAPOLEON von Ridley Scott.
Vanessa Kirby und Joaquin Phoenix (Ridley Scott, USA/UK 2023)

Kurzkritik

Wenn zum Kinostart bekannt ist, dass der Regisseur gerade an seiner Version des Filmes arbeitet, die in naher Zukunft per Streaming verfügbar sein wird, dann ist das schon keine günstige Ausgangssituation. NAPOLEON, jetzt schon mit einer Überlänge von knapp 160 Min, soll noch einmal um eineinhalb Stunden länger werden. Ob man derart Menschen dazu bewegen kann, mehr als 10€ für einen einzigen Film zu bezahlen, ist fraglich. Zumal er in der jetzt vorliegenden Fassung fragmentarisch und zerrissen wirkt, arbeitet sich Scott doch an mehr als einem Duzend Stationen in Napoleons Leben ab.

Ein Historienfilm läßt sich aus mehreren Perspektiven betrachten. Ridley Scott (HOUSE OF GUCCI, THE LAST DUEL) und Drehbuchautor David Scarpa nähern sich über den Briefverkehr zwischen Napoleon und seiner Frau Joséphine der Geschichte an. Die nahezu kindlich anmutende Art der Konversation war für sie das geeignete Ausgangsmaterial. Eine spannende Herangehensweise und eine interessante Perspektive. Überlagert werden diese aus dem Off kommenden Dialoge nun aber mit verschiedenen zeitlich chronologisch angeordneten Stationen aus Napoleons Leben von der Hinrichtung Marie-Antoinettes bis zu seinem Exil in St. Helena. Dieses hin und her zwischen Schlachtfeld und Schlafzimmer will nicht so recht funktionieren. Es fehlt an Romantik und Poesie. War der Stoff in den falschen Händen? Der Director’s Cut soll sich mehr auf Joséphine fokussieren. Auch wenn das etwas ändern sollte, ist eine Laufzeit von vier Stunden den meisten wohl kaum zumutbar. Und warum soll etwas gelingen, was in zweieinhalb Stunden schon fehlgeschlagen ist?

Wie sieht es mit der Erwartungshaltung aus, wenn man heute in einen Film geht, der eine historische Grundlage hat. Was mich selbst betrifft, so möchte ich eine korrekte Erzählung und keine Dichtungen, in einer ohnehin schon hochdramatischen Geschichte. Bereits von der ersten Sequenz an, in der Napoleon der Hinrichtung Marie-Antoinettes beiwohnt, was offenkundig nicht der Fall war, hält sich das Drehbuch nicht an historische Tatsachen. Die meisten Verfilmungen über das Leben Napoleons liegen viele Jahre zurück und wahrscheinlich wäre Scotts Version damals auch anders rezipiert worden. Aber heute glaube ich, dass die Erwartungen andere sind. Das hat sich auch in den Gesprächen nach der Vorstellung gezeigt. Das geht bis zum Nachspann, in dem die Millionen unter Napoleons Kriegsführung zu Tode gekommenen aufgeschlüsselt werden. Dabei ist es nicht mehr so sicher, dass er selbst für die Opfer verantwortlich war, sondern sie viel mehr eine Folge der in Europa vorherrschenden Macht- und Spannungsverhältnissen waren.

Eine Ungenauigkeit sticht besonders hervor: Joséphine war sechs Jahre älter als Napoleon. Bei ihrer Hochzeit versuchten die Beiden den Unterschied mit falschen Geburtsdaten zu kaschieren. Vanessa Kirby ist aber 14 Jahre jünger als Joaquin Phoenix. Das ist auch dahingehend ein problematisches Zeichen, da es mit zunehmendem Alter für Frauen immer schwieriger wird, ihrem Alter entsprechende Rollen zu bekommen.

Was viele ins Kino ziehen wird, sind neben den beiden Schauspielstars wohl die epochalen Schlachtszenen, die natürlich auf der Leinwand besonders zur Geltung kommen (Nebenbei ist der Film auf eine morbide Art und Weiße recht witzig, was beim Publikum im Saal weniger angekommen zu sein scheint). Optisch gibt NAPOLEON ordentlich was her und ist auch erstaunlich kurzweilig. Trotzdem: die beschriebenen Schwächen und die andere Version des Filmes im Hinterkopf trüben das Filmerlebnis.

NAPOLEON USA/UK 2023
Historienfilm Ab 12 Länge 158 Min.
Regie Ridley Scott Drehbuch David Scarpa Kamera Dariusz Wolski Schnitt Sam Restivo, Claire Simpson
Musik Martin Phipps Mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Rubert Everett Apple TV+


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