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Jetzt nur im Kino

Es kommt immer wieder vor, dass am Ende einer mit der Oscar-Verleihung endenden Filmsaison (Sie wurde in diesem Jahr auf den 25. April verschoben), ein Film hervorsticht, auf den sich so gut wie alle einigen können. In diesem Jahr sieht es ganz so aus, als wäre es Nomadland von Chloé Zhao. Mit der großartigen Frances McDormand in der Hauptrolle, trifft der Film fast prophetisch Mitten ins Herz einer Krise, in der immer mehr Menschen unter die Räder kommen und sich unter widrigen Bedingungen über Wasser halten müssen.

Darum geht es

Fern (Frances McDormand) hat alles verloren. Ihren Mann, ihre Arbeit, ihren Wohnort. Nach der Schliessung einer Fabrik, wird die Postleitzahl ihrer Heimatstadt Empire einfach ausgelöscht. Die Frau lebt nun in einem Van und verdingt sich als Tagelöhnerin. Das Jahr wird durch den Kreislauf diverser Jobs bestimmt. Vor Weihnachten macht sie Station bei Amazon. Sie ist nicht allein: es gibt eine ganze Gruppe von Menschen, die wie Nomaden leben, abgeschieden und ohne festen Wohnsitz. Im Laufe des Jahres kommt man da und dort zusammen, auch um der tristen Einsamkeit zu entgehen.

Nomadland (2020)

Kommentar

Man muss sich vorstellen, dass Nomadland natürlich vor der derzeit vorherrschenden Pandemie entstanden ist. Inspiriert von dem 2017 erschienenen Buch Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century von Jessica Bruder und dem Antikapitalsten Bob Wells (im Film spielt er sich selbst) fanden die Dreharbeiten bereits im Jahr 2018 statt. Der Film wurde am 11. September 2020 bei den Filmfestspielen von Venedig und dem Toronto Filmfestival mit gleichzeitigen Filmvorführungen erstmals dem Publikum präsentiert. In Venedig wurde der Film mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Frances McDormand ist in der Rolle ihres Lebens zu sehen. Fern ist trotz aller Schicksalsschläge ein lebensfroher und großherziger Mensch. Die Leichtigkeit in McDormands Schauspiel ist beeindruckend. Neben David Strathairn als David spielen LaiendarstellerInnen, deren Rollen an ihr eigenes Leben angelehnt sind und sie lassen die Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentation verschwimmen. Das war bereits in Zhaos beeindruckenden letzten Film The Rider (USA 2017) so, in dem sich ein Rodeoreiter selbst spielte.

Jeder der schon einmal in den USA war kennt sie, die im Dienstleistungssektor arbeitende Generation 60 plus. Eigentlich schon zu alt um noch zu arbeiten aber gleichzeitig zu arm um ihren Ruhestand genießen zu können. In den letzten Jahren hat sich eine eigene Gruppe von Menschen gebildet, die in Vans und Wohnwägen wie Nomaden durchs Land ziehen und deren Wege sich immer wieder kreuzen. Nicht zuletzt die Finanzkrise 2008 hat sie in diese Lage gebracht.

Sie erleben ein Freiheitsgefühl und vielleicht ist es nur die Illusion von Unabhängigkeit aber diese Menschen sind nicht verarmt oder gar verwahrlost und haben sich sehr wohl für diese Lebensart entschieden. Gerade die Besitzlosigkeit empfinden sie als befreiend. Chloé Zhao gelingt die Gratwanderung Menschen zu zeigen, die ihre Freiheit lieben, ohne ihre prekäre Situation zu romantisieren. Denn gerade die medizinische Altersversorgung ist katastrophal.

Im Grunde leben diese Nomaden ein für den Planeten verträglicheres Leben als wir alle, eng in Einklang mit der kalten, rauen und weiten Landschaft Nordamerikas. Zhao wirft einen längst notwenigen Blick auf die Auswüchse eines kapitalistischen Systems, in dem die Reichen immer reicher werden und andere sich keine Wohnung mehr leisten können. Die Regisseurin macht das ohne diese Menschen als Opfer zu brandmarken. Ihre Filme sind von einer triefen Humanität geprägt.

Dieser Text wurde im Rahmen der Viennale 2020 verfasst.


Bei der Oscar-Verleihung 2021 wurde Nomadland vier Mal ausgezeichnet:

BESTER FILM für Molly Asher, Dan Janney, Frances McDormand, Peter Spears und Chloé Zhao

BESTE REGIE für Chloé Zhao

BESTE HAUPTDARSTELLERIN für Frances McDormand


Nomadland

Drama, USA 2020
Regie, Drehbuch und Schnitt
Chloé Zhao
Kamera Joshua James Richards
Musik Ludovico Einaudi
Länge 108 Min
Streamingplattform Derzeit in Österreich nicht verfügbar


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