Einer der ungewöhnlichsten und spannendsten Filme des vergangenen Jahres ist das Debüt der Regisseurin Emerald Fennell. Promising Young Woman nimmt sich der #MeToo Bewegung an und geht dabei in die Offensive. Es ist ein radikaler und bunter Thriller und geht somit einen völlig anderen Weg als wir ihn zuletzt in The Assistant gesehen haben. In der Hauptrolle ist die großartige Carey Mulligan zu sehen. Fennells Drehbuch wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.
Darum geht es
Cassie (Carey Mulligan) ist eine Eigenbrötlerin. Sie ist Ende 20, arbeitet in einem Coffeeshop und wohnt noch bei ihren Eltern. Abends frönt sie einem höchst seltsamen Hobby: Sie stellt sich betrunken und läßt sich in Bars von Männern abschleppen. Die nutzen die Situation zuverlässig aus und werden übergriffig. Bis Cassie den Spieß umdreht und die Männer geschockt zurückbleiben. Nach und nach erfahren wir, dass ihr Verhalten mit einer früheren Studienkollegin und besten Freundin Nina zusammenhängt, der Furchtbares zugestoßen ist. Cassie begrub ihren Traum vom Medizinstudium und gab alles auf um sich fortan auf einen Rachefeldzug zu begeben. Als sie ihren alten Studienkollegen Ryan (Bo Burnham) wieder trifft und sich die Beiden näher kommen, scheint sich das Blatt für Cassie zum Guten zu wenden. Doch dann wird sie selbst von der Vergangenheit eingeholt und schmiedet einen fatalen Plan.
Kommentar
Es ist Carey Mulligans große Stunde. Cassie ist einer der spannendsten Charaktere der jüngsten Filmgeschichte. Es ist eine Freude, Mulligan dabei zuzusehen, wie sich uns und den Männern im Film immer mehr offenbart und nach und nach in ihr Innerstes Blicken lässt. Am Anfang ist hier nichts wie es scheint und im Laufe der Handlung wird das Publikum mehrmals an der Nase herumgeführt.
Es ist ziemlich genau in der Mitte des Filmes, als die Grundstimmung kurz umschlägt und Cassie Momente des Glücks beschert. Man ist aber misstrauisch und glaubt zu wissen, dass das Unvermeidliche passieren muss. Doch Emerald Fennell ist uns immer einen Schritt voraus und das macht Promising Young Woman so spannend und unterhaltsam. Was nicht darüber hinwegtäuscht, dass die Protagonistin schwer traumatisiert ist. Cassies Psyche spiegelt sich in der Tonalität des Filmes wieder. Mal unterhaltsam und im nächsten Moment tot ernst.
Der Film trifft den Nerv der Zeit. In der ersten Einstellung sieht man Männer in einem Nachtclub tanzen, die Kamera bleibt auf Hüfthöhe. Dort und da als männerfeindlich kritisiert, ist das aber nur eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise. Vielmehr hält Fennell der männlichen Gesellschaft den Spiegel vor. Das kann unangenehm sein. Die Kontroverse gipfelte in einer Kritik von Variety. In dem der Kritiker fand, dass Mulligan für die Rolle nicht verführerisch genug sei, zog er nicht zuletzt den Unmut von Mulligan selbst auf sich. Margot Robbie, sie ist Co-Produzentin, wäre die bessere Wahl gewesen, meinte der Journalist. Das Branchenblatt versah die Kritik im Nachhinein mit einem entschuldigenden Vermerk. Die an sich positive aber sonst unrühmliche Kritik von Dennis Harvey ist hier nachzulesen.
Promising Young Woman ist Pop. Schrill, bunt und mit einem wunderbaren Soundtrack (Am Ende mit einer tollen Coverversion von Britney Spears‘ Toxic). Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, ein unterhaltsames Filmvergnügen mit ernstem Hintergrund.
Promising Young Woman
Drama, USA 2020
Regie Emerald Fennell
Kamera Benjamin Kracun
Schnitt Frédérick Thoraval
Musik Anthony B. Willis
Mit Carey Mulligan, Bo Burnham,
Länge 113 Min.
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