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Mit Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann, Lukas Miko Regie Kilian Riedhof
Ab 14 (falls historischer Kontext bereits bekannt) Länge 115 Min

In STELLA. EIN LEBEN. nimmt sich Regisseur Kilian Riedhof der Geschichte von Stella Goldschlag an, die Anfang der 1940er zuerst von einer Karriere als Swing-Sängerin träumt und dann mit der Gestapo kooperiert, um ihr eigenes Leben zu retten. Es verleiht der Geschichte zusätzliche Brisanz, dass Goldschlag Jüdin war und duzende jüdische Mitmenschen verriet. Oder spielt ihre eigene Biografie am Ende gar keine Rolle? Riedhof stellt jedenfalls die Frage in den Raum, was wir getan hätten, wenn wir an Goldschlags Stelle gewesen wären.

Paula Beer als Stella in STELLA. EIN LEBEN. (Kilian Riedhof, D 2024)

Kurzkritik

Der Film beginnt im Jahr 1940. Im häuslichen jüdischen Umfeld sind noch Konzerte möglich und Stella Goldschlag lebt für den Swing und für ihre Karriere. Dass Verwandte von Mitgliedern der Band bereits spurlos verschwinden, ist ihr nur eine abfällige Bemerkung wert. Vielleicht ist es nur die Fixierung auf die Karriere oder es blitzt hier schon durch, was noch bevor steht. Es ist jedenfalls ein sehr dynamischer, lebensfroher Einstieg in eine Geschichte, die vielen von uns neu ist und die uns zum Nachdenken bringen wird.

Zeitsprung ins Jahr 1943. Goldschlag wird Zeugin einer Deportationsaktion in der Fabrik, in der sie arbeiten muss und entkommt nur knapp. Die Familie taucht unter und sie lernt den Passfälscher Rolf (Jannis Niewöhner) kennen. Sie zocken die jüdische Gemeinde regelrecht ab. Es ist wieder so ein Moment, der die ganze Ambivalenz der Figur deutlich macht.

Ganz schlau wird man aus aber Stella Goldschlag nicht werden und selbst Regisseur Kilian Riedhof hat kein endgültiges Urteil über sie. Eine künstlerische Arbeit ist immer subjektiv und selektiv und das macht es für uns nicht einfacher. Natürlich hinterlässt die zentrale Szene, in der Goldschlag verhört und gefoltert wird, auch bei uns Spuren in der Meinungsbildung. Gleichzeitig dürften ihre Methoden, mit denen sie versteckt lebende Juden denunzierte, in der Realität noch drastischer gewesen sein, als es im Film zu sehen ist.

Nach dem Krieg wurde Goldschlag zuerst 1946 durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt. 1957 kam es zu einer weiteren Verurteilung, wobei ihr die erste Haftstrafe angerechnet wurde. Sie war eine persona non grata. Ein erster Selbstmordversuch misslang, 1994 ertrank sie mit 72 Jahren. Die Verhörprotokolle der beiden Prozesse bilden unter anderem die faktische Grundlage für STELLA. EIN LEBEN. Historische Genauigkeit war Riedhof und seinem Team sehr wichtig.

Wir wollten, dass die ZuseherInnen die Welt dieses Filmes als eine sehr gegenwärtige empfinden, weil wir glauben, dass diese Geschichte sehr gegenwärtig ist.“, so Kilian Riedhof. Das drückt sich vor allem in der Bildsprache aus. Keine großen Kamerafahrten, sondern dichte Einstellungen, in denen immer Gefahr lauern kann. Menschen, die ständig auf dem Sprung sind. Schnelle Zooms zeugen vom ständigen Beobachten und Beobachtetwerden. Gleichzeitig wird der Ku’damm als Sehnsuchtsort Goldschlags mit Pariser Flair inszeniert. Auf braune Naziuniformen wurde bewusst verzichtet.

Kilian Riedhof konnte die Produzenten davon überzeugen, möglichst viel in Wien zu drehen: „Wir haben in Wien gedreht, was für uns ein großer Gewinn war. In Wien existieren noch diese großen, nicht enden wollenden Wohnungen. Diese entsprechen sehr den Wohnungen am Ku‘damm, so wie sie in Berlin waren, zur Zeit der 20er bis 40er Jahre. Das war für uns ein großes Geschenk, weil wir gerade zu Beginn die Lebenswelt der Berliner Juden mit all der Lebensfreude zeigen konnten, mit dem Charme, der in den Wiener Wohnungen vorhanden ist.“ In Berlin ist dahingegen entweder viel zerstört oder aber auch später modernisiert worden. Selbst die Inneneinrichtungen sind in Wien teils gut erhalten.

Was macht nun STELLA. EIN LEBEN. mit dem Publikum? Als persönliche Erfahrung kann ich sagen, dass zu Beginn der Gedanke im Vordergrund stand, wie gerade eine Jüdin so etwas machen kann. Um ihr Leben zu retten (und anfangs auch das ihrer Eltern) verriet sie hunderte BürgerInnen (genaue Zahlen sind nicht bekannt). Am Ende geht es aber um einen Menschen und die Biografie spielt eine untergeordnete Rolle. Wenn man bedenkt, dass sie tatsächlich unmittelbar um ihr Leben fürchten musste, befand sie sich immerhin in einer anderen Situation, als jene Mehrheit, die aktiv an den Nazigräueln beteiligt war. Steht uns ein Urteil zu?

Kilian Riedhof stellt im Interview die Frage, was ein Leben Wert ist, dass auf Schuld aufbaut. Uns wohnt der urmenschliche Impuls des Überlebens inne. Vielleicht ist die Geschichte von Stella Goldschlag weniger Anlass über sie zu urteilen, als darüber nachzudenken, was wir tun würden. Und das bevor es soweit ist, denn viel Zeit hatte sie 1943 nicht, sich das zu überlegen, so Riedhof.

In der Hauptrolle ist Paula Beer (ROTER HIMMEL) zu sehen, die zweifelsohne zu den gefragtesten deutschen Schauspielerinnen der Gegenwart zählt. Kein Wunder, dass ihre Persönlichkeit den Film ausfüllt. STELLA. EIN LEBEN. wirft eine spannende Frage auf. Zur Entscheidungsfindung trägt der Film nicht bei. Als moralischer Kompass eignet sich ein Unterhaltungsfilm wohl auch kaum. So lässt uns die Geschichte um Stella Goldschlag im ersten Moment ratlos zurück und man hofft insgeheim, niemals in ihre Lage zu geraten. Das ist gleichzeitig in Anbetracht der Weltpolitischen Lage nicht gerade die beste Strategie.

STELLA. EIN LEBEN., D 2024
Drama Ab 13 Länge 115 Min.
Regie Kilian Riedhof Drehbuch Marc Blöbaum, Jan Braren & Killian Riedhof Kamera Benedict Neuenfels Schnitt Andrea Mertens
Musik Peter Hinderthür Mit Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann, Lukas Miko, Joel Basman, Damian Hertung, Bekim Latifi, Gerdy Zint

Dem Text liegt ein am 24. Jänner 2024 mit Kilian Riedhof geführtes Interview zu Grunde.


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