Im Kino
Regisseur James Gray (Ad Astra) erinnert sich an einen bestimmten Moment der US-amerikanischen Geschichte im Jahr 1980. Ein 11-jähriger Bub schließt in Armageddon Time während des Wahlkampfs von Ronald Regan Freundschaft mit einem schwarzen Mitschüler. Die Abneigung gegenüber Schwarzen ist jedoch selbst in seiner Einwandererfamilie noch allgegenwärtig. Das Schulsystem separiert Gesellschaftsgruppen und im Hintergrund zieht in New York ein Geschäftsmann die Fäden: Fred Trump, Vater des späteren US-Präsidenten Donald Trump. Mit zwei grandiosen Kinderdarstellern und einmal mehr Anthony Hopkins, so wie wir ihn lieben.
Darum geht es
Es ist für Paul Graff (Banks Repeta) der erste Schultag in der 6. Klasse in Queens, New York. Er freundet sich mit dem einzigen schwarzen Mitschüler in der Klasse an. Johnny (Jaylin Webb) ist aufmüpfig, genauso wie Paul. Allerdings muss Paul bald feststellen, das Johnny von den Lehrern im Gegensatz zu ihm stark benachteiligt wird. Auch Pauls Familie ist nicht begeistert, dass ein schwarzer Junge „durch die Nachbarschaft schleicht“. Seine Großeltern sind russische Juden und aus der Ukraine imigriert. Zu seinem Großvater (Anthony Hopkins) hat er eine enge Beziehung. Seine Eltern (Anne Hathaway, Jeremy Strong) sind überfordert, als sie schlechte Einflüsse der öffentlichen Schule bemerken und gehen entsprechend brutal vor. Folglich muss Paul in eine Privatschule, so wie sein älterer Bruder. Dort sind ausschließlich weiße Kinder. Sie tragen eine Schuluniform und die Klassen sind allgemein besser ausgestattet. Als Mäzen tritt Fred Trump (John Diehl) auf, der die Schule finanziert. Paul bricht den Kontakt zu Johnny allerdings nicht ab, auch wenn er diese Freundschaft verheimlichen muss.
Kommentar
Es ist eine Dialog, der einem in die Knochen fährt. So nebenbei erzählt, dass man sie fast verpassen könnte. Pauls Großmutter Mickey Rabinowitz (Tovah Feldshuh) erzählt von einer Pragreise. Auf dem Flohmarkt entdeckt sie auf der Unterseite der angebotenen Gegenstände jüdische Namen. Es ist der Besitz vertriebener und ermordeter Familien. Sie selbst ist mit ihrem Mann aus Europa geflohen. Und einmal fragt Fred Trump Paul, was denn Graff für ein seltsamer Name sei. Pauls Eltern haben das Jüdische aus ihrem Familiennamen schlicht getilgt.
Die Großeltern hat es nach Queens verschlagen. Der Anteil an Migranten ist hoch, kaum wo in den USA werden so viele unterschiedliche Sprachen gesprochen wie hier. Die Familie ist sehr bedacht drauf, dass die Kinder eine gute Bildung erfahren und schauen darauf, zu wem die Kinder Kontakte pflegen. Schwarze sind nicht gerne gesehen und haben für sie in der Gesellschaft keinen Platz.
Das öffentliche Schulsystem ist überlastet. Schlechte Ausstattung und große Klassen, in denen sich die Lehrer kaum durchsetzen können. Pauls kreativen Talente werden hier aufgrund eines falschen Verständnisses von Originalität nicht honoriert. In der Privatschule ist das kaum anders. Allerdings weil hier eiserne Disziplin herrscht und kaum Platz für freie Gedanken ist. Paul sieht hier zum ersten Mal Personal Computer in den Klassen (an ihnen wird später die Freundschaft von Paul und Johnny zerbrechen) und etwas anderes nicht: schwarze Mitschüler. Hier wird die zukünftige Elite herangezogen. Unter den Augen von Fred Trump und seiner Tochter Maryanne (Jessica Chastain). Auch Sohn Donald ist hier einst zur Schule gegangen.
Im Wahlkampf beschwört Ronald Reagan das bevorstehende Armageddon herauf. Wie sonst als mit Angst können Republikaner Wahlen gewinnen. Geiselnahme von Teheran, Energie Krise und Kalter Krieg spuken in den Köpfen der Menschen. In der Schule wird Reagan gefeiert. Bei Paul zu Hause nimmt man am Ende seinen Wahlsieg bedrückt hin. Der Titel Armageddon Time ist von einem Songtitel von The Clash geliehen.
In einer Nebenrolle glänz einmal mehr Anthony Hopkins, hier als Aaron Rabinowitz. Als Großvater zeigt er seine große Liebe zu seinem Enkel. Zeit ist für ihn kostbar. Er merkt, dass es mit ihm zu Ende geht. Es sind herzzerreißende Momente zwischen den beiden. Es ist buchstäblich die Weitergabe des Feuers, die wir hier beobachten können.
Regisseur James Gray läßt sich nicht von der gerade populären 80er Retrowelle verleiten. Armageddon Time gibt sich nicht nostalgisch. Es ist ein solides Geschichtsdrama über Familie, Politik, Migration und das Bildungssystem im New York des Jahres 1980. Ohne Retrochic und Sentimentalität. Ich hoffe, wir sehen bald mehr von Banks Repeta und Jaylin Webb. Zwei tolle Entdeckungen.
Armageddon Time
Drama, USA 2022
Regie James Gray
Drehbuch James Gray
Kamera Darius Khondji
Schnitt Scott Morris
Musik Christopher Spelman
Mit Banks Repeta, Jaylin Webb, Anne Hathaway, Jeremy Strong, Anthony Hopkins
Länge 115 Min.
Verleih Österreich UIP Austria
Im Kino
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