Jetzt verfügbar bei
Von den Safdie Brüdern kommt ein Film, der das Attribut immersiv verdient wie kaum ein anderer der jüngsten Vergangenheit. Der schwarze Diamant nimmt uns mit auf eine Achterbahnfahrt, bei der über zwei Stunden keine Zeit zum Durchatmen bleiben wird. Ein Stresstest für Adam Sandler als spielsüchtigen Diamanthändler und für uns. Also fasten your seat belt!
Darum geht es
Howard Ratner (Adam Sandler) führt einen Juwelierladen im New Yorker Diamond District. Wegen hoher Spielschulden steckt er in der Klemme. Arno (Eric Bogosian), sein Schwager und Kredithai sitzt ihm im Nacken. Gemeinsam mit seinen Schlägertypen macht er Howard das Leben schwer. Doch Howard hat einen Coup gelandet. Aus Äthiopien schmuggelt er einen großen schwarzen Opal ins Land. Gerade als der Diamant eintrifft, befindet sich der NBA-Star David Garnett in seinem Laden und ist sofort besseren davon, ihn als Glücksbringer zu besitzen. Howard willigt einem vorübergehenden Tauschhandel ein und erhält im Gegenzug seinen Meisterschaftsring.
Gleich darauf versetzt Howard den Ring bei einem Pfandleiher und wettet noch am selben Abend eine große Summe auf David Garnett. Der Opal scheint tatsächlich als Glücksbringer zu wirken. Doch für Howard beginnt der Alptraum erst. Sein scheinbar perfekter Plan führt ihn direkt ins Chaos.
Kommentar
Das hier ist nichts, wobei man sich entspannt zurücklehnen kann. Der schwarze Diamant ist schrill, laut und chaotisch. Josh und Benny Safdie schaffen eine Atmosphäre des Unbehagens, die noch lange nach dem Film nachwirken wird. Es schmerzt zu sehen, wie Howard eine falsche Entscheidung nach der anderen trifft und immer mehr Richtung Abgrund schlittert. Obwohl wahrlich kein Sympathieträger, leiden wir mit ihm mit. Die permanente latent aggressive Stimmung wird durch das hohe Tempo des Filmes, es gibt nur wenige ruhige Momente und der hektischen elektronischen Filmmusik noch verstärkt. Der Geräuschpegel rumort in unseren Köpfen.
Das Brüderpaar war stark beeinflusst von der eigenen Familiengeschichte. Wie Howard entstammen sie einer jüdischen Familie und ihr eigener Vater arbeitete selbst im Diamond District in New York. Hier reihen sich an einem Häuserblock die Juweliere aneinander. Es ist ein Viertel, wo Geschäfte über enorme Summen noch per Handschlag besiegelt werden. Ihre Vorstellung von New York im Jahr 2012 ist eine ganz andere als man sie sonst für gewöhnlich in Filmen sieht. Dies hier ist kein Ort an dem man sein möchte. Die Stadt draußen nicht und schon gar nicht der beklemmend enge, fensterlose Laden Howards mit seiner doppelten Sicherheitstüre. Von Kameralegende Darius Khondji wird das Setting in ein grünliches Neonlicht getaucht.
Es wurde oft gesagt aber hier spielt Adam Sandlers die Rolle seines Lebens. Man möchte dem Mann in der schwarzen Lederjacke fast zu Hilfe kommen oder die Augen verschließen. Dies ist eine der spannendsten und beeindruckendsten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre. Dass Sandler bei den Oscars im letzten Jahr übergangen wurde, haben heute noch viele der Academy nicht verziehen. Nebenbei ist das gesamte Ensemble eine Erwähnung Wert: Idina Menzel als Howards Noch-Ehefrau Dinah, Jud Hirsch als Schwiegervater Gooey und Julia Fox als Howard Angestellte und Liebhaberin. Irgendwie ist Der schwarze Diamant auch ein jüdischer Familienfilm. Aber sehr speziell.
Immer wieder entsteht der Eindruck, Howard stünde kurz vor der Lösung all seiner Probleme. Die Erlösung scheint zum greifen nahe. Doch genauso schnell kommt die Ernüchterung und die Erkenntnis, dass daraus wohl nichts werden wird. Zu allem Überfluss steht auch noch seine Ehe vor dem Ende. Es ist seine Spielsucht, die ihn anreibt – das Spiel selbst und nicht die hohen Geldsummen, die in Aussicht stehen. Bald müssen wir erkennen, dass wir in Der schwarze Diamant selbst in Howards wirrem Kopf festsitzen und es keine Erlösung geben kann. Eine große Empfehlung für alle, die sich auf ein intensives und berauschendes Filmerlebnis einlassen möchten. Brutal genial.
Der schwarze Diamant [OT: Uncut Gems]
Thriller, USA 2019
Regie Benny Safdie, Josh Safdie
Kamera Darius Khondji
Schnitt Ronald Bronstein, Benny Safdie
Musik Daniel Lopatin
Mit Adam Sandler, Lakeith Stanfield, Julia Fox, Kevin Garnett
Länge 130 Min.
Streamingdienst Netflix
NEUESTE BEITRÄGE VON THE REEL THERAPIST
- „DER WILDE ROBOTER“ Filmkritik: Tiefschwarzer Humor zwischen Natur und Technik
- VIENNALE 2024 – Rückblick
- VIENNALE 2024 – Halbzeit
- „THE SUBSTANCE“ Filmkritik: feministischer Body-Horror mit Demi Moore in der Rolle ihres Lebens.
- „FAVORITEN“ Filmkritik: Ruth Beckermanns Bestandsaufnahme des österreichischen Schulsystems
2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Aktuelles Amazon Disney Feature Filme Filmfestival Filmkitik Filmkritik Kino aus Österreich Kommentar Netflix Oscar Radar Oscars Review Streaming Viennale Vorschau