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Nachdem sich Netflix die weltweiten Rechte für den Western Neues aus der Welt gesichert hat, kommen wir nun zu Hause in den Genuss einer Major-Studio-Produktion von Universal. Nur Disney ist bisher mit dem eigenen Streamingdienst diesen Weg gegangen. Warner Bros. beschränkt sich noch auf den US-Markt. Auch bei No time to Die wartet Universal noch zu. Das liegt vermutlich auch an den hohen Produktionskosten und Werbeverträgen, die beim neuen James Bond mit im Spiel sind. Immerhin handelt es sich beim neuen Starvehikel mit Tom Hanks um den Oscar-Beitrag des Studios. Soviel sei schon verraten: Neues aus der Welt ist ein Film, der die große Leinwand sucht.

Darum geht es

Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks) reitet im Jahr 1870 durchs Texas, um den Menschen gegen eine Spende die Nachrichten, theatralisch untermalt, aus den Tageszeitungen vorzulesen. Auf seiner Reise trifft er auf das junge Mädchen Johanna Leonberger (Helena Zengel), das nach einem Überfall auf ihren Wagen als einzige überlebt hat. Sie trägt die Kleidung amerikanischer Ureinwohner und spricht die Sprache der Kiowa. Von zufällig passierenden Reitern der Union Army wird er Kidd beauftragt, das Mädchen dem nächstgelegenen Bureau of Indian Affairs zu übergeben.

Dort erfahren die Beiden, dass der zuständige Beamte erst in drei Monaten zurückerwartet wird. Widerwillig erkennt Kidd an, nun für das Kind verantwortlich zu sein und entschließt sich, sie zu ihren Überlebenden Verwandten zu bringen. Johanna wurde bei der gewaltsamen Räumung einer Indianersiedlung von der Armee aufgegriffen. Die Kiowa hatten vor Jahren ihre Familie ermordet und sie verschleppt.

So ziehen die beiden gemeinsam durchs Land. Sie treffen auf Menschenhändler und von Banden kontrollierten Dörfern. Wenige Jahre nach dem Bürgerkrieg lauern überall Gefahren. Texas war bestimmt nicht der sicherste Bundesstaat. Das traumatisierte Mädchen öffnet sich nur langsam ihrem Begleiter. Hinzu kommt die sprachliche Barriere. Doch mit der Zeit wird aus den beiden eine Schicksalsgemeinschaft.

Helena Zengel und Tom Hanks

Kommentar

Wer dachte, der Western, dieses uramerikanische Filmgenre, fand mit Erbarmungslos von Clint Eastwood im Jahr 1992 sozusagen frei nach Francis Fukuyama sein Ende der Geschichte, wurde, wenn auch erst fast zwei Jahrzehnte später, eines Besseren belehrt. Allerdings fand das Genre nur mehr vereinzelt, vor allem Dank Quentin Tarantino, den Weg zurück auf die Leinwand.

Bis zu Eastwoods Abrechnung mit dem Thema Gewalt und Westernklischees durchlebte das Genre verschiedene vom jeweiligen Zeitgeist bestimmte Phasen, die mit John Ford und seinem Star John Wayne in den 1950ern ihren Anfang nahmen. Paul Greengrass knüpft nun an den frühen Western an. Neues aus der Welt ist ziemlich klassisch geraten. Die Thematik erinnert gar unweigerlich an Der schwarze Falke (The Searchers, 1956) von John Ford: ein kleines Mädchen, geraubt von Indianern, die Familie ermordet. Beide Filme spielen sogar zur gleichen Zeit, kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Allerdings sinnt es Tom Hanks nicht nach Rache.

Die Rolle des ehemaligen Captain ist Hanks auf den Leib geschrieben: Sympathisch, introvertiert und mit einem großen Herz, wie wir ihn eben kennen. Da öffnen sich keine neuen schauspielerischen Welten aber es ist eine Freude, dem 64-jährigen Schauspieler dabei zuzusehen, wie er mit großer Leichtigkeit spielt, gezeichnet vom Krieg, mit sich selbst hadert und mit seiner eigenen Vergangenheit kämpft. Es könnte seine bereits siebte Oscar-Nominierung als Hauptdarsteller werden.

Ihm zur Seite steht die zwölfjährige Helena Zengel aus Deutschland. Nur ein Jahr nach ihrem großen Erfolg Systemsprenger hat das Mädchen also den Sprung nach Hollywood geschafft. Es ist ganz sicher ein zeitlicher Glücksfall. Die Rolle der deutsch sprechenden Johanna erinnert an die ebenfalls traumatisierte Benni in Nora Fingscheidts Film. Der Erfolg scheint nicht abzureisen. Nach und nach wird Zengel in den USA für sämtliche Preise in diesem Jahr nominiert. Neues aus der Welt ist ein Tom Hanks-Film aber Zengel ist ihm eine ebenbürtige Partnerin und das ist nichts weniger als sensationell.

Greengrass‘ Film hat alle Zutaten die man von einem Western erwartet. Atemberaubend schöne Landschaftsaufnahmen, Banditen, schlafen unter freiem Himmel und natürlich einen einsamen Helden. Es ist ein ruhiger und altmodischer, um nicht zu sagen konservativer Western. Das Spannungsfeld zwischen Indianern (die im Film so gut wie gar nicht vorkommen) und den weißen Eroberern sollte im Jahr 2021 jedoch etwas differenzierter Aufgearbeitet werden. Die Option Johanna dorthin zu bringen, wo sie aufgewachsen ist, wird nicht einmal angedacht.

Immerhin gibt es die Episode in Erath Country, wo eine Bande die Bevölkerung mit einem strengen Regime und Fake News unter Kontrolle hält. Kidd stachelt die Menschen mit seinen Nachrichten, die für ihn immer auch Geschichten sind, zur Revolte auf. Hier wagt sich der Film kurz in andere Gefilde.

Handwerklich ist Peter Greengrass ein feiner Film gelungen. Die Musik von James Newton Howard ist sehr gelungen und nie zu aufdringlich. Es ist den beiden charismatischen Hauptdarstellern zu verdanken, dass wir der Geschichte bis zu ihrem rührenden Ende folgen möchten und die aus dem Film mehr herausholen, als es eine simple Beschreibung vermuten lässt. Es ist ernüchternd, diesen Film in der mehr als bescheidenden Bildqualität ansehen zu müssen, die Netflix zur Verfügung stellt. Das Auge gewöhnt sich leider allzu schnell an eine minderwertige Qualität. Spätestens in der Sandsturmszene packt einen aber dann das Grauen. Da kapituliert der Streamingdienst und Tom Hanks verirrt sich in Pixeln und Artefakten.


Neues aus der Welt [Originaltitel: News of the World]

Drama, USA 2020
Regie
Paul Greengrass
Kamera Dariusz Wolski
Schnitt William Goldenberg
Musik James Newton Howard
Mit Tom Hanks, Helena Zengel
Länge 119 Min.


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