SOUL

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Mit ihrem 23. abendfüllenden Spielfilm beschreiten die Pixar Animation Studios in mehrerlei Hinsicht neue Wege. Soul startet bereits wenige Wochen nach Onward: Keine halben Sachen nun direkt auf der hauseigenen Streamingplattform Disney+ (ohne Zusatzkosten zum Abo von aktuell 6,99€ monatlich). Regisseur und Pixar Urgestein Pete Docter (Toy Story, Oben, Alles steht Kopf) verfasste ebenso das Drehbuch, gemeinsam mit Mike Jones und Kemp Powers, der nun auch als Co-Regisseur geführt wird. Sie schufen mit dem Lehrer und Jazzpianisten Joe Gardner die erste afroamerikanische Hauptrolle in der Firmengeschichte. Darüber hinaus haben wir es hier erstmals mit einem Animationsfilm zu tun, der sich mit einem grundlegenden philosophischen Anspruch in erster Linie an ein etwas älteres Publikum wendet.

Darum geht es

Joe Gardner (Jamie Foxx/dt:: Charles Rettinghaus) gelingt es als Musiklehrer nur bedingt seine große Leidenschaft zum Jazz auf die Kinder zu übertragen. Während dem Unterricht träumt er von einer Karriere als Jazzpianist. Eines Tages wird zumindest der Wunsch seiner Mutter (Phylicia Rashad/Marianne Groß) nach einer Vollzeitanstellung in der Schule Realität. Doch das soll nicht alles sein: Noch am gleichen Abend bekommt er das Angebot in einem Jazzclub als Pianist einzuspringen und das ausgerechnet bei der berühmten Dorothea Williams (Angela Bassett/Arianne Borbach). Nach einem nachmittäglichen Vorspiel bekommt er den Job. Voll Freude und Euphorie tänzelt er durch die Straßen von New York nach Hause und fällt dabei in einen offenen Schacht. Im nächsten Moment sieht er sich, losgelöst von seinem Körper, auf einem Förderband Richtung Jenseits auf ein gleissend weißes Licht zufahren, in dem andere vor ihm wie Insekten verpuffen.

Panik macht sich breit. Nein, bereit zum Sterben ist Joe nicht. Er macht kehrt und als er versucht seinem Schicksal zu entkommen, landet er kurzerhand in einer Welt, in der Seelen auf ihren Einsatz auf Erden vorbereitet werden. Da wittert Joe seine Chance. Mithilfe von 22 (Tina Fey/Anna Carlsson), einer Seele, die sich bisher weigerte einen Körper zu bewohnen, möchte er doch noch seinen Traum verwirklichen.

Joe im Davorseits

Kommentar

Bereits während des berühmten Intros mit dem Disney Schloss ist es nicht zu überhören. Hier geht es um Jazzmusik. Diese ist für Improvisationen bekannt und es sitzt hier vorerst kein Ton. Es ist Joes Klasse, die sich gerade an der Fanfare abarbeitet. Eine Klasse, die er nicht so recht überzeugen vermag, Zeitungsausschnitte und Fotos an der Wand, die von seinen Sehnsüchten erzählen und dann die Nachricht eine fixe Anstellung an der Schule zu erhalten. Im diesem Moment wird der Zwiespalt in Joe sichtbar. War es das nun mit der Karriere als Jazzpianist? Nach wenigen Minuten sind wir Teil der Gefühlswelt des Hauptdarstellers. Eine große Kunst, die gerade dem Animationsfilm eigen ist.

Und wieder glaubt man einen Fortschritt in der Animationstechnik erkennen zu können. Der Detailreichtum und die Plastizität durch Licht und Schatten suchen ihresgleichen. Selbst bei einem Stil, der keinen Realismus vortäuschen will, erlangt man größtmöglichen Realismus in den Bewegungsabläufen, Oberflächen, einzelnen Gegenständen und in der räumlichen Wahrnehmung. Im sogenannten Davorseits entfernen wir uns von einer realen Welt. Die dortigen Seelenberater, sie heißen alle Jerry (weil mehr könnten unsere Hirne sowieso nicht begreifen), bestehen nur aus Linien, die an Zeichnungen von Pablo Picasso erinnern. Soul strotzt vor kreativer Originalität, deren Details auf den Fernsehbildschirmen leider mitunter verloren gehen.

Nachdem Joe bereit im Vorspann ins Jenseits befördert wird, konzentriert sich Soul auf die Rückeroberung seiner Körpers. Ein paar Mystiker helfen ihm dabei. Der Twist am Ende des ersten Drittels soll hier nicht vorweg genommen werden, nur neu ist er leider nicht. Dem Spaß tut das aber keinen Abbruch. Die daraus resultierenden Slapstickeinlagen sind großartig. Die Botschaft des Films ist dann aber tiefgründiger und beschäftigst sich mit nicht weniger als mit dem Sinn des Lebens. Gibt es sowas wie ein Ziel oder eine Berufung? Soul hat sogar eine Antwort parat. Ein Ahornsamen wird dabei eine Rolle spielen.

Auf der Erde gibt die Jazzmusik von Jon Batiste den Ton an und im Davorseits sind es die sphärischen Klangwelten von Trent Reznor und Atticus Ross. Disney veröffentlichte gleich zwei Alben mit den Soundtracks und sie sind es Wert öfters gehört zu werden.

Pete Docter wurde innerhalb der Produktionszeit zum Künstlerischen Leiter bei Pixar. Nach Alles steht Kopf hat er sich zum zweiten Mal zur Aufgabe gemacht, das Nichtdarstellbare zu visualisieren. Soul verlangt aber nach einem dunklen Saal mit geschlossenen Türen und einer großen Leinwand, auf der sich der Detailreichtum auch vollends entfalten kann. Unter den jetzigen Umständen müsste man einen Animationsfilm, dem ein Produktionszyklus von gut fünf Jahren vorangeht, vermutlich neu denken. Soul ist ein gute Laune verbreitender Film, den wir gerade jetzt gut gebrauchen können.

SOUL | PETE DOCTER/KEMP POWERS | USA 2020 | 100 MIN. | 4.5 out of 5 stars


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