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In Europa ist es still geworden um dein einstigen Starproduzenten Harvey Weinstein, nachdem er Anfang 2020 von einem Gericht in New York City zu mehr als 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Dass er nun im Dezember 2022 in Los Angeles neuerlich der mehrfachen Vergewaltigung und wegen sexueller Belästigung schuldig gesprochen wurde, hat hierzulande kaum noch jemand mitbekommen. She Said von Maria Schrader (Vor der Morgenröte) erzählt von den beiden Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey von der New York Times, die das perfide System aus Abhängigkeiten und Missbrauch in ihrer Reportage aufgedeckt hatten. Der Film reiht sich ein in den Kanon der großen Filme über investigativen Journalismus und führt vor, unter welch grausamen Bedingungen Frauen im Umfeld von Weinstein leben mussten.

Darum geht es

Es begann 2017, als die Journalistin Jodi Kontor (Zoe Kazan) von der New York Times den Hinweis erhielt, dass die Schauspielerin Rose McGowan angeblich ein Opfer von sexuellem Missbrauch durch den Indiefilmproduzenten Harvey Weinstein gewesen war. Auch die Schauspielerinnen Ashley Judd und Gwyneth Paltrow schildern ihre Erfahrung von sexuellem Missbrauch. Allerdings möchte niemand namentlich genannt werden, da die Frauen einen Schaden für ihre Karrieren fürchteten. Kantor zieht ihre Kollegin Megan Twohey (Carey Mulligan) zur Unterstützung hinzu. Gemeinsam stossen sie auf immer mehr Fälle, in denen die Frauen allerdings im Zuge von Vergleichen Geheimhaltungserklärungen unterzeichnet hatten.

Vom ehemaligen Vizepräsidenten der Weinstein Company Irwin Reiter (Zach Grenier) erfährt Kantor, dass das Verhalten von Weinstein firmenintern offenbar schon seit Jahren bekannt war. Nach und nach erklären sich Frauen bereit, offen über ihre Erfahrungen mit Weinstein mit den Reporterinnen zu sprechen. Es stellt sich heraus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist.

Am anderen Ende der Leitung: Harvey Weinstein (She Said, Maria Schrader 2022)

Kommentar

Erst im November 2022 verfasste Irwin Reiter einen Gastkommentar für die LA Times (hier) über die stille Mittäterschaft der schweigenden Männer rund um Harvey Weinstein. Die Journalistinnen und seine eigene Tochter hatten den ehemaligen Vizepräsidenten von der Weinstein Company und Miramax (der Vorgängerfirma) dazu gebracht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Weiters erzählt er davon, dass sich die Herabwürdigung der Opfer vor dem Gericht während den Verhandlungen durch Weinsteins Anwälte fortsetzte und er selbst sich kein bisschen geändert hatte.

Die große Macht von Harvey Weinstein im Filmgeschäft machte es möglich, ein ganzes System an Missbrauch aufrecht zu erhalten. Er hatte es in der Hand Karrieren in Hollywood für immer zu beenden und zahlte wenn nötig große Summen an seine Opfer, um sie zum Schweigen zu bringen. Selbst Brad Pitt arbeitete weiter mit Weinstein, auch nachdem seine Verlobte Gwyneth Paltrow ein Opfer von Weinstein wurde.

Diese so unglaublichen Umstände wurden erst vor kurzem schon einmal filmisch behandelt. The Assistant (2019) von Kitty Green schilderte das Umfeld von Weinstein aus einer ganz anderen Perspektive. Damals konnte eine Sekretärin Weinsteins (der im Film namentlich nicht genannt wird) beobachten, wie er mit Frauen umgegangen ist und musste bald bemerken, dass es sich um einen systematischen Missbrauch handelte und Weinstein von Kollegen gedeckt wurde. Das deckt sich auch mit den Szenen rund um Irwin Reiter in She Said.

Das US-Regiedebüt von Maria Schrader reiht sich ein in die großen Filme über investigativen Journalismus. Check, Re-Check, Double-Check – die Prinzipen von Qualitätsjournalismus werden hier sichtbar hochgehalten. Den Vorwurf She Said sei nicht filmisch genug, kann ich nur schwer nachvollziehen. Der Film ist sehr nüchtern inszeniert. Mehr ist aber auch nicht notwendig. Die beiden Hauptdarstellerinnen sind grandios. Ashley Judd sorgt zudem für einen emotionalen Höhepunkt, den man im Kino nur selten finden wird. Es war sehr clever sie sich selbst spielen zu lassen. Auf einmal gibt es für einen Moment keine Grenzen mehr zwischen Fiktion und Realität. Eine intensive Erfahrung, bei einem schon an sich schwierigen Thema.

Als Twohey gegen Ende Harvey Weinstein gegenübersitzt und die Kamera auf ihr verweilt, ist ihr die Genugtuung ins Gesicht geschrieben. Kurz darauf verbreitete sich die #metoo Bewegung rasant über die ganze Welt und auf einmal erfuhr man, dass selbst im engsten Arbeitsumfeld Frauen betroffen sind und irgendwie war der ganze Wahnsinn Alltag.

Hat sich etwas geändert? Ein Verhaltenscodex ist heute zumindest auf dem Papier in vielen Firmen selbstverständlich. Die Umsetzung im Alltag ist es weniger, vor alle wenn es um sich um ungleiche Machtverhältnisse handelt. Sogar die Schule meiner Tochter sah sich in diesem Herbst veranlasst, das in einem Verhaltenskodex niederzuschreiben, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Ist es leider nicht. She Said, ein wichtiger Film in diesem Jahr.

SHE SAID
Drama, USA 2022

Regie Maria Schrader
Drehbuch Rebecca Lenkiewicz
Kamera Natasha Braier
Schnitt Hansjörg Weißbrich
Musik Nicholas Britell
Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Samantha Morton, Ashley Judd
Länge
129 Min.


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